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Zwischenbericht von der 60. Berlinale (11.2. - 21.2.2010). Von Walter Gasperi

Zwischenbericht von der 60. Berlinale (11.2. - 21.2.2010). Von Walter Gasperi

Zurück zum politischen Festival der Zeiten des gespaltenen Europa scheint die Berlinale in ihrem Jubiläumsjahr zu wollen: Statt großen Namen und großen Filmen dominiert in den ersten Tagen das engagierte Kino.

Als programmatisch könnte man den Eröffnungsfilm ansehen: In „Tuan Yuan – Apart Together“ erzählt Wang Quan´an in langen ruhigen Einstellungen anhand der Rückkehr eines Taiwanesen zu seiner Geliebten, die er vor 50 Jahren im Chinesischen Bürgerkrieg verlassen hat, leise von der Spaltung Chinas in Festland und Taiwan und plädiert in diesem bittersüßen Liebesfilm für Versöhnung.

Dafür und gegen Fanatismus engagiert sich auch Karan Johar in seinem Bollywood-Film „My Name Is Khan“. Vor dem Hintergrund von 9/11 lässt Kohar einen von Superstar Shak Rukh Khan gespielten autistischen Inder quer durch die USA reisen um Präsident Bush zu sagen: „My Name is Khan and I am no terrorist.“ Eingebettet in diese Reise, auf der Khan unterschiedlichste Erfahrungen von amerikanischem Antiislamismus und islamischem Fanatismus bis Hilfsbereitschaft durch eine Afroamerikanerin macht, sind Rückblenden nicht nur zu 9/11 und den Folgen, die diese Anschläge auf das Leben seiner Familie in den USA hatten, sondern auch zu islamisch-hinduistischen Auseinandersetzungen während seiner Kindheit. Seine Mutter hat Khan aber schon damals gelehrt, dass Rasse und Religion keine Rolle spielen, einzig zählt, ob man ein guter oder schlechter Mensch ist. – Simplifizierend und naiv ist das freilich, aber in seinem Handlungsreichtum und seinem hemmungslosen Spiel auf der Klaviatur der Emotionen auch mitreissendes Kino.

Grimmiger ist da schon Thomas Vinterbergs „Submarino“, in dem der Däne mit hartem Realismus von dem tristen Leben zweier Brüder erzählt, die sich seit einem traumatischen Erlebnis in ihrer Kindheit nicht mehr gesehen haben. Auch im Film sehen sie sich erst am Ende, hintereinander erzählt Vinterberg von ihren Leben: Der eine wurde erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen, hängt in einer Einzimmerwohnung herum und säuft, der andere hat zwar einen Sohn, kommt aber nicht von den Drogen los. Nichts Neues bietet dieses Sozialdrama im Grunde, ist aber doch mit einer Konsequenz inszeniert und durchgängig in kalte Winterfarben getaucht, sodass dieser Film packt und über die Schilderung hinaus, auch Verantwortung der Erwachsenen für Kinder einfordert.

Die „Kracher“ der ersten Festivaltage lieferten Roman Polanski und Martin Scorsese vor. Während Polanski mit „Ghostwriter“, der ziemlich genau dem Roman von Robert Harris folgt, einen klassischen Thriller in Hitchcockmanier vorlegte, ebenso elegant wie schnörkellos und Polanskis zentrale Motive vom klaustrophobischen Eingesperrtsein variiert, schickt Scorsese in „Shutter Island“ Leonardo DiCaprio als US-Marshal im Jahre 1954 auf eine Insel, auf der er in einer psychiatrischen Anstalt im Fall einer verschwundenen geistig gestörten Verbrecherin ermitteln soll. Rasch wächst das Misstrauen des Marshals gegenüber der Anstaltsleitung, aber er selbst verfällt auch immer mehr, von Schuldgefühlen und Traumatisierungen geplagt, in ein Netz von Wahnvorstellungen und Alpträumen. Da der Film konsequent aus der Perspektive von DiCaprios Figur erzählt wird, kann der Zuschauer auch die Realitätsebenen nicht auseinander halten, wird selbst in dieses Netz hineingezogen, bis der Film eine überraschende Wendung nimmt. – Da geht es dann in dieser Variation des Stummfilmklassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“ im Gewand eines Horrorthrillers auch um Identität und die condicio humana an sich.
(Walter Gasperi)