Zombies, Touristen und ein ausgewiesener Korrespondent – Bericht von Geri Krebs über das Havanna Filmfestival 2011
Das 33. „Festival internacional del nuevo cine Latinoamericano“, das vom 1. - 11. Dezember in der kubanischen Hauptstadt über die Bühne ging, bot eine so grosse Vielfalt von Filmen aus und über Kuba wie nie zuvor.
Tumultuöse Szenen spielten sich in der zweiten Festivalhälfte vor Kubas grösstem Kino, dem 1800 Plätze bietenden „Payret“, im Herzen von Havanna, ab. Mehrere Tausend Filmenthusiasten – das Festival sprach später von rund 10 000, was etwas übertrieben scheint – drängten in den bereits vollen Saal, von einem Grossaufgebot chaotisch agierender Polizisten nur mühsam daran gehindert, das Kino zu stürmen.
Überbordene Begeisterung
Zwei Tage darauf gab es dann ähnliche Szenen vor dem Kino „Chaplin“, einem knapp 1000 Zuschauer fassenden Kino, das, im Gegensatz zum „Payret“ und in einem Nebengebäude des Filminstituts Icaic gelegen, eher als „Studiokino“ gilt. Der Grund für so viel überbordende Begeisterung war „Juán de los muertos“, der erste kubanische Zombiefilm, realisiert von Alejandro Brugues, einem jungen Regisseur, der vor einigen Jahren mit seinem Erstling, dem Low-Budget-Sozialdrama „Personal Belongings“ innerhalb und auch ausserhalb Kubas auf sich aufmerksam gemacht hatte. Man muss bis in die 1990er Jahre zurückgehen, bis man am Festival von Havanna letztmals eine solche Begeisterung für einen Film, und dazu noch aus einheimischer Provenienz, erleben konnte wie dieses Jahr mit „Juán de los muertos“. Eine fast ebenso grosse Begeisterung erntete in diesem Jahr allerdings der brasilianische Film „Tropa de elite 2“ des Regisseurs José Padilha, ein actionreicher Film über Polizeibrutalität, der bereits in seiner Heimat alle Zuschauerrekorde gebrochen hat und der im Wettbewerb den zweiten Preis erhielt (der erste Preis ging an „Infierno“ des Mexikaners Luis Estrada, ein nicht minder gewalttätiges Werk über den Drogenkrieg in Mexiko)
Kubanische Zombies
„Juán de los muertos“ wurde mit Spanien koproduziert und ist mit einem Gesamtbudget von knapp zwei Millionen Euros eine für kubanische Verhältnisse teure Produktion, seit seiner Weltpremiere im vergangenen September am Festival von Toronto wurde er bereits in zahlreiche Länder verkauft. So bleibt die Hoffnung, dass dieser äusserst vergnügliche Film dereinst auch das Interesse eines Kinoverleihs in der Schweiz finden möge. „Juán de los muertos“ bewegt sich gekonnt in den Bahnen des Genres, auch die Special Effects – beispielsweise versinkt halb Havanna in Schutt und Asche - sind durchaus professionell. Und dass die Story sich ganz im Kontext kubanischer Alltäglichkeiten bewegt, trägt viel zum Charme dieses Films bei, der eindrücklich unter Beweis stellt, dass heute ein kubanisches Kino jenseits von Tomás Gutiérrez Alea und Fernando Pérez existiert. Das einheimische Publikum reagierte auf Szenen wie jene, in der die Zombies ihr erstes grosses Massaker unter den versammelten Mitgliedern der - weitherum verhassten – Revolutionskomitees veranstalten, mit solcher Begeisterung, dass die Stimmung im Saal eher an ein Fussballmatch als an eine Filmvorführung erinnerte.
Der Slum-Junge und der Neureiche
Ein anderer kubanischer Film, „Havanastation“ von Ian Padrón, war bereits im Sommer in hiesigen Kinos gelaufen und hatte damals ebenfalls viel Begeisterung hervorgerufen. Dies vor allem deshalb, weil es der erste kubanische Film war, der in aller Deutlichkeit die immensen sozialen Differenzen im heutigen Kuba anspricht. Die Geschichte von der Freundschaft zwischen einem Jungen aus einem Slum – was es ja offiziell in Kuba gar nicht gibt – und seinem Klassenkameraden, der als Sohn von Neureichen in einer Villa mit Bediensteten wohnt und den Slum-Jungen mit seiner neuesten Playstation beeindruckt, war zwar etwas schematisch und schwer erträglich mit ihrer Glorifizierung der „guten Armen“, doch dem breiten Publikum gefiel es, und bei den einen Tag vor Festivalende verteilten „colateralen“ Preise der nationalen Presse schwang „Havanastation“ obenauf. Mit „Fabula“, einem etwas angestrengten Stück Kunstkino von Lester Hamlet, das in makelloser Ästhetik eine durch die herrschenden prekären ökonomischen Verhältnisse zerrütteten Liebe erzählte, in einer Art und Weise, die an frühe Filme der Nouvelle Vague gemahnte, erhielt schliesslich auch bei den Hauptpreisen (3.Preis) ein einheimisches Werk seine Anerkennung.
Ausländische Blicke auf Kuba
Grosse Aufmerksamkeit erhielt schliesslich die Weltpremiere der grossen internationalen Produktion „7 Days in Havana“, ein Episodenfilm von sieben Regisseuren aus sieben Ländern, die unter der Koordination des kubanischen Schriftstellers und Drehbuchautors Leonardo Padura sieben „Minimalgeschichten“ aus dem heutigen Havanna erzählen. Unter den Regisseuren finden sich so bekannte Namen wie Benicio del Toro (erstmals als Regisseur), Laurent Cantet oder Elia Suleiman, und als einziger Kubaner Juán Carlos Tabío. Die Geschichten erinnern in gewissen Momenten etwas an den Episodenfilm „Paris je t’aime“, oftmals war, hier wie dort, das lustvolle Spiel mit den Klischees eines touristischen Blick auf hiesiges Leben das, was die reizvollsten Momente ergab.
Einen Blick eines Ausländers auf Kuba, der aber so tief ging, wie man das noch selten gesehen hatte, vermittelte schliesslich ein Dokumentarfilm, bei dem man sich wundern konnte, dass er am Festival gezeigt wurde. Die Rede ist von „Baracoa, 500 años después“ des Spaniers Mauricio Vincent, koproduziert mit dem kubanischen Filminstitut Icaic und entstanden unter der künstlerischen Beratung von Fernando Pérez. Mauricio Vincent war während 17 Jahren Korrespondent der spanischen Zeitung „El País“ und wurde im vergangenen September als unerwünschte Person des Landes verwiesen. Es gehört zu den Besonderheiten des kubanischen Regimes, dass man sich in solchen Fällen „zivilisiert“ gibt, und so erhielt Vincent eine Frist von drei Monaten, um das Land zu verlassen - und konnte nun in Havanna den Film noch persönlich präsentieren, wie wenn nichts gewesen wäre. „Baracoa …“ ist eine Hommage an die gleichnamige, im äussersten Osten gelegene, älteste Stadt der Insel und ihre Umgebung, eine üppige, alles zu verschlingen scheinende Tropenlandschaft, die sich vom Rest Kubas stark unterscheidet. Ohne zu beschönigen und ohne anzuklagen, zeigt der Film die Härte des ungemein archaischen Alltagslebens einer Handvoll BewohnerInnen von Baracoa, verbindet diese Beobachtungen zu kleinen Geschichten und strukturiert sie in einer Art, die ein wenig an Fernando Pérez „Suite Habana“ erinnert – eine ebenso ambitionierte wie über weite Strecken gelungene Liebeserklärung an Kuba und an kubanische Lebensart und Kultur.
(Geri Krebs)
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