Schlussbericht über die 60. Berlinale. Von Walter Gasperi / Redaktionelle Beiträge / User-Beiträge / Home / 451°F - 451°F Film-Newsletter

RUBRIKEN

KINO

UNTERSTÜTZE UNS

Damit wir das Projekt 451° Filmportal aufrecht erhalten können, sind wir auf deine Spende angewiesen. Vielen Dank!

PARTNER

Schlussbericht über die 60. Berlinale. Von Walter Gasperi

Schlussbericht über die 60. Berlinale. Von Walter Gasperi

Frostig war es über 10 Tage in der deutschen Hauptstadt, aber auch im Kino wollte einem bei der Jubiläums-Berlinale nicht richtig warm werden. Der Wettbewerb schleppte sich mehr oder weniger dahin, Sehenswertes gab es durchaus zu entdecken, auf ein Meisterwerk, das einen vom Stuhl riss, wartete man aber vergebens.

Unübersehbar fehlten der heurigen Berlinale wie schon den letzten Ausgaben die wirklich großen Kinofilme. Mit Polanski, Scorsese und der restaurierten Fassung von Fritz Langs „Metropolis“ wurden am Beginn drei Filme vorgelegt, die süffiges Kino boten – dann folgte aber fast nur noch mehr oder weniger sperrige Arthouse-Filme.

Jede Einstellung ist in dem mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten „Bal – Honey“ von Semih Kaplanoglu meisterhaft komponiert und perfekt ausgeleuchtet. Keinen Bruch gibt es in diesem Film über den sechsjährigen türkischen Jungen Yussuf, der in der abgeschiedenen Bergwelt im Hinterland der Schwarzmeerküste lebt. Nur zu seinem Vater, der als Bienenzüchter durch die Wälder streift, hat Yusuf eine wirkliche Beziehung, mit ihm kann er reden, während er in der Schule beim Lesen stottert und ein Aussenseiter bleibt. Ein Aussenseiter bleibt bei diesem leisen, auf jede Musik verzichtenden und sehr langsamen Drama, mit dem Kaplanoglu seine mit „Ei“ (2006) und „Milch“ (2008) begonnene so genannte „Yussuf“-Trilogie abschliesst, aber auch der Zuschauer, der zwar die Schönheit der Bilder geniessen kann, aber kaum näher an den Jungen herankommt.

Erratischer als „Bal – Honey“ ist Alexej Popogrebskis „How I Ended this Summer“. Zwei Männer auf einer Insel im Arktischen Meer, die per Funk Aufzeichnungen einer Wetterstation übermitteln müssen, sind in diesem russischen Wettbewerbsbeitrag die einzigen Personen, dafür gibt es jede Menge Landschaft. In der Isolation, umgeben von endloser karger Tundra und rauem Meer, entwickeln sich Spannungen zwischen dem erfahrenen Meteorologen und dem jungen Hochschulabsolventen, die sich steigern, als der junge Praktikant seinem Kollegen eine wichtige Information vorenthält.

Auf einsame Männer, oft frisch aus der Haft entlassen, stiess man bei dieser Berlinale immer wieder. Der Bogen spannt sich von Hans Peter Molands „A Somewhat Gentle Man“, in dem der Norweger mit lakonischem Humor à la Kaurismäki von einem Ex-Häftling erzählt, der der Rache abschwört, bis zum iranischen Beitrag „Zeit des Zorns“. Und von Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“ bis zum rumänischen „If I Want to Whistle, I Whistle“.

Heisenberg erzählt nach einem realen Fall der österreichischen Kriminalgeschichte der 1980er Jahre von einem erfolgreichen Marathonläufer, der Banken ausraubt. Durch seine Schnelligkeit entkommt er der Polizei nicht nur bei den Überfällen, sondern auch nach seiner Verhaftung aus der Polizeistube. Durch den Verzicht auf jede Psychologisierung, einer Erklärung der Vorgeschichte oder der Motive, verlagert sich der Schwerpunkt des Films auf die Taten und die physische Energie des Räubers wird direkt auf die filmische Form übertragen.

Ganz im Gefängnis spielt dagegen Florin Serbans „If I Want to Whistle, I Whistle“. Serban erzählt in seinem Debüt von einem 18-jährigen Häftling, der kurz vor seiner Entlassung steht. Als sein jüngerer Bruder ihm mitteilt, dass er mit der Mutter nach Italien übersiedeln werde, unternimmt Silviu alles um das zu verhindern und setzt sich über Gefängnisregeln immer massiver hinweg. Mit starken Darstellern und einer im Dogma-Stil hautnah dem Protagonisten folgenden Kamera entwickelt dieses Drama über weite Strecken grosse Dichte.
(Walter Gasperi)

Die wichtigsten Preise der Berlinale 2010

Goldener Bär für den Besten Film
Bal (Honey)
von Semih Kaplanoglu
Goldene Ehrenbären
Hanna Schygulla und
Wolfgang Kohlhaase
   
Silberner Bär - Großer Preis der Jury
Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want To Whistle, I Whistle)
von Florin Serban
Silberner Bär - Beste Regie
Roman Polanski
für The Ghost Writer (The Ghost Writer)
   
Silberner Bär - Beste Darstellerin
Shinobu Terajima
in Caterpillar (Caterpillar) von Koji Wakamatsu
Silberner Bär - Bester Darsteller
Grigori Dobrygin zusammen mit
Sergei Puskepalis
in Kak ya provel etim letom (How I Ended This Summer) von Alexei Popogrebsky
   
Silberner Bär - Bestes Drehbuch
Wang Quan'an und
Na Jin
für Tuan Yuan (Apart Together) von Wang Quan'an
Silberner Bär - Herausragende Künstlerische Leistung in der Kategorie Kamera
Pavel Kostomarov
für die Kamera in Kak ya provel etim letom (How I Ended This Summer) von Alexei Popogrebsky
   
Preis Bester Erstlingsfilm
Sebbe
von Babak Najafi
Alfred-Bauer-Preis
Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want To Whistle, I Whistle)
von Florin Serban
   
Berlinale Shorts  
   
Goldener Bär
Händelse Vid Bank
von Ruben Östlund (Schweden)
Silberner Bär
Hayerida
von Shai Miedzinski (Israel)
   
Stipendium des DAAD Künstlerprogramms in Berlin
Adrian Sitaru (Rumänien)
für Colivia
Nominierung für den europäischen Kurzfilmpreis
Venus vs Me
von Natalie Teirlinck (Belgien)
   

Alle Preise der Berlinale 2010

www.berlinale.de/de/das_festival/preise_und_juries/uebersicht_auszeichnungen/index.html