53. Solothurner Filmtage - Hinschauen, wo andere wegblicken. Vorschau von Irene Genhart
Leerstellen, Erneuerungen - und: Politik!
Die 53. Solothurner Filmtage (25.1.- 1.2.2018) werden – wohl oder übel – im Zeichen der „No Billag“-Abstimmung vom 4. März 2018 stehen. Weitere Themenschwerpunkte nebst den neuen und neusten Schweizerfilmen werden sein: Das filmische Schaffen von Christoph Schaub, (Schweizer) Drehbücher, sowie die Bolex-Kamera als Schweizer Erfindung. Um Innovation geht es auch in der neu eingeführten Sektion „Future Lab“, die künftig neue audiovisuelle Technologien wie Virtual und Augmented Reality fest im Programm der Filmtage verankern will.
Das Plakat der 53. Solothurner Filmtage zeigt Bilder „alter“ Schweizerfilme mit weissen Auslassungen. Diese „Leerstellen“ sollen, wie Felix Gutzweiler, der Präsident der Schweizerischen Gesellschaft Solothurner Filmtage anlässlich deren Medienkonferenz meinte – Seraina Rohrer, die Direktorin hat anderswo Ähnliches gesagt – ein Symbol dafür sein, dass Altes manchmal verschwinden muss, damit Neues nachrücken oder entstehen kann; Gutzweiler hat sein Amt vor Jahresfrist von der nach zwölf Jahren scheidenden Christine Beerli übernommen und auch anderswo steht in Solothurn derzeit Neues an. Weniger in Zusammenhang sehen möchte man besagtes Plakat in Solothurn allerdings mit der „No Billag“-Intiative, die am 8. März vors Volk kommt. Ganz um die Diskussion dieser Abstimmungsvorlage herum wird man an den 53. Filmtagen allerdings nicht kommen. Es wird dies nicht nur in den Solothurner Kneipen, in denen während den Filmtagen für gewöhnlich gern lebhaft diskutiert wird, der Fall sein, sondern ganz offiziell auch nach Programm: Am 31.1.18 werden an einem vom Schweizerischen Verband der Filmproduzenten gemeinsam mit dem Schweizerischen Verband der Filmjournalistinnen und Filmjournalisten organisierten Panel mit Titel „No Billag – No Film“ Gegner und Befürworter der „No Billag“-Initiative die Auswirkungen deren Annahme auf die Schweizer Filmbranche diskutieren. Gleichentags wird Cinésuisse, der Dachverband der Schweizer Filmbranche, seine Aktion „Nein zu No-Billag“ durchführen. Einige Heftigkeit hat man bei der Medienkonferenz im Dezember bei diesen Veranstaltungen erwartet, nachdem gemäss einer TA-Media-Umfrage vom 18.1.18 die Gegner der Vorlage mit 59% nun neu obenauf schwingen, dürften besagte Veranstaltungen etwas weniger hitzig ausfallen.
Zum Auftakt: Dokumentarisches aus der Westschweiz
Eröffnet werden die 53. Solothurner Filmtage, die zum siebten Mal unter der Leitung von Seraina Rohrer stattfinden und mit 159 gezeigten Filmen dieses Jahr schmaler ausfallen als letztes, am 25. Januar in Anwesenheit von Bundespräsident Alain Berset. Gezeigt wird Fernand Melgars „A l’école de Philosophes“, ein Dokumentarfilm über den turbulenten Alltag an einer Tagesschule, in der fünf Kinder mit speziellen Bedürfnissen ihr erstes Schuljahr erleben. Damit kommt seit fast zehn Jahren endlich mal wieder einem Westschweizer die Ehre zu, den Solothurner Eröffnungsfilm zu stellen. Noch länger, nämlich 14 Jahre ist es her, dass zu diesem Anlass ein Dokumentarfilm gezeigt wird. Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass man die Stärke des Schweizer Films seit Jahrzehnten gemeinhin im Dokumentarischen verortet, durchaus bemerkenswert. Kann sein, dass sich hier auch langsam eine Verschiebung abzeichnet; der Eröffnungsfilm der letztjährigen Filmtage, „Die göttliche Ordnung“ von Petra Volpe, notabene gehört mit über 344‘000 Eintritten in der Schweiz zu den zehn erfolgreichsten Schweizerfilmen überhaupt.
Hinschauen, wo andere wegblicken: die Wettbewerbe
„A l’école des Philosophes“ ist für den mit 60‘000 Franken dotierten „Prix de Soleure“ nominiert. Im Wettbewerb zu ihm stehen Anja Kofmels Ani-Doku „Chris the Swiss“ um in einen im Jugoslawienkrieg umgekommenen Journalisten, sowie fünf weitere Dokumentarfilme, darunter Kaleo La Belles Patchwork-Familien-Experiment „Fell in Love With a Girl“, Luc Schaedlers „A Long Way Home“ über fünf chinesische Kunstschaffende, die sich für die (künstlerische) Freiheit in ihrer Heimat engagieren, sowie Dieter Fahrers „Die Vierte Gewalt“, der den durch Internet und Computer evozierten Veränderungen im Journalismus nachforscht und brandaktuell die neusten Umwälzungen der Schweizer Medienlandschaft beleuchtet. Die Schweizer Filmemachenden, hat Seraina Rohrer, anlässlich der Pressekonferenz gemeint, würden derzeit ihr Augenmerk augenfällig dahin richten, wo andere wegschauen. Das gilt auch im Fiktiven: Marcel Gisler greift in seinem unter Profi-Fussballern spielenden Liebesfilm „Mario“ ebenso ein lange tabuisiertes Thema auf, wie Christine Repond, deren „Vakuum“ sich daran entzündet, dass sich die 60-jährige Protagonistin, die sich in vermeintlich harmonischer Ehe wähnte, plötzlich mit ihrer positiven HIV-Diagnose konfrontiert sieht.
Elf weitere Filme treten in Solothurn um den mit 20‘000 Franken dotierten „Prix du Public“ an. Es finden sich darunter in Premiere gezeigt die neusten Werke bereits erfahrener Regisseure wie Bernard Weber („Der Klang der Stimme“) oder Oliver Paulus und Stefan Hillebrand („Level Up Your Life“) aber auch drei Debütfilme. So etwa „Bis ans Ende der Träume“ , der Erstling des bisher als Autor historischer Biografien bekannten Wallisers Wilfried Meichtry, der in seiner Doku-Fiktion der stürmischen Beziehung der Schweizer Journalistin Katharina von Arx und des französischen Fotografen Freddy Drilhon nachforscht.
Neues von alten Hasen und so: „Panorama Schweiz“
Gespannt darf man aber auch sein auf Neues ausserhalb der Wettbewerbe. So auf – im „Panorama Schweiz“ gezeigt – „Das Ächzen der Asche“ von Clemens Klopfenstein, den Abschluss seiner Berner Trilogie mit Max Rüdlinger und Polo Hofer. Oder die von der „Bande à part“, eben: Lionel Baier, Jean-Stéphane Bron, Ursula Meier, Fréderic Mermoud ebenda unter dem Titel „Ondes de choc“ lancierte Serie von vier radikalen, nämlich um Mord, Totschlag sowie andere kriminelle Handlungen sich drehenden, Autorenfilme.
Kommende Innovationen: „Future Lab“
Neue Wege begeht Solothurn in der neu geschaffenen Sektion „Future Lab“, mit der man künftig neuen audiovisuellen Technologien wie Virtual Realtiy und Augmented Reality im Programm einen festen Platz geben will; bedauerlich ist, dass hier, wo sich das Bewegtbildschaffen von seiner innovativsten Seite zeigt – aber das liegt im Wesen der sich als Werkschau definierenden Filmtage – zum Teil die gleichen Werke vorführt, wie an den letzten „Winterthurer Kurzfilmtagen“.
Rückschau und Reflexion: Spezialprogramme
Solothurn ist, obwohl man da seit etlichen Jahren auch intensiv über die Grenze sperbert, für den Schweizer Film, fürs Schweizer Filmschaffende und die Schweizer Filmbranche nach wie vor eines der wichtigsten Veranstaltungen des ganzen Jahres. Da wird nicht nur das Neuste präsentiert und aktiv politisiert, sondern auch Rückschau gehalten. Dieses Jahr im Programm „Rencontre“ auf das Schaffen des Zürchers Christoph Schaub, der sich im Laufe seiner 35-jährigen Karriere immer wieder neu erfunden hat, und dabei vom aufmüpfigen Bewegungsfilmer der 1980er zum versierten Regisseur erfolgreicher Komödien ebenso mauserte wie zum erfahrenen Dokumentaristen, der seinen Zuschauern die Augen für die Schönheit der Architektur öffnet. Und das Programm „Histoires du cinéma suisse“ zeichnet in sechs Filmblöcken und einer Ausstellung die Geschichte der in den 1920er-Jahren von Jacques Boolsky erfundenen, ab den 1930ern von der Westschweizer Firma Paillard hergestellten Bolex-Kamera nach.
Nicht wirklich neu, weil vor einigen Jahren in Solothurn bereits heftig geführt, aber unter den Zeichen der sich in den letzten Jahren stark veränderten Produktionsabläufe vielleicht tatsächlich wichtig, ist die unter dem Titel „Hauptsache Drehbuch!“ angekündigte Auseinandersetzung um die Rahmenbedingungen, unter denen Schweizer Filmschaffende heute ihre Stoffe entwickeln. Dabei sollen in diversen Veranstaltungen selbstverständlich nicht nur kreative, sondern auch finanzielle Aspekte zur Diskussion kommen.
(Irene Genhart)
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