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15. ZFF 2019: Zum Abschied nochmals ein bisschen gutes Gewissen und ein prächtiges Staraufgebot

15. ZFF 2019: Zum Abschied nochmals ein bisschen gutes Gewissen und ein prächtiges Staraufgebot

Nach 15 Jahren verabschieden sich die Gründer Nadja Schildknecht und Karl Spoerri aus der operativen Leitung des Zurich Film Festivals. Sie haben mit ihrem fürs breite Publikum angedachten Filmfest in Zürich erstaunlich viel erreicht.

Als sie 2005 das 1. Zurich Film Festival vorstellten, liessen Nadja Schildknecht und Karl Spoerri an der diesjährigen Pressekonferenz verlauten, habe man sie extrem kritisch beäugt. Tatsächlich war die Situation damals ziemlich grotesk, standen im Baur au Lac der gestandenen Schweizer (Film-)Journaille doch zwei filmfestivaltechnische Greenhorns gegenüber und verkündeten unerschrocken, dass sie in Zürich fortan ein glamouröses Filmfestival durchführen wollten. Im ersten Jahr störte man sich denn an den fehlenden Punkten im Namen der Veranstaltung, auch lief einiges nicht ganz rund. Heute erzählt Schildknecht mit entwaffnendem Lachen, dass sie – bereits bekannt als Model und MTV-Moderatorin – im ersten Jahr die Fotografen immer wieder darauf aufmerksam machen musste, dass nicht sie, sondern die zwei Herren an ihrer Seite – Karl Spoerri und der inzwischen aus dem Leitungsteam ausgeschiedene Antoine Monot jr. – das Festival künstlerisch leiten.

Inzwischen sind eineinhalb Jahrzehnte vergangen. Man sich an die englische Schreibweise gewöhnt und die Positionen am ZFF sind klar. Die Welt hat sich filmtechnisch markant verändert: Statt analog wie zu den Anfängen des ZFF kommen die Filme heute digital daher. Einige Zürcher Kinos (ABC, Plaza, Nord-Süd, Academy) sind verschwunden, andere wurden um- oder neugebaut (Houdini, Arena, Capitol). Und das Zurich Film Festival, das in den ersten Jahren durch die Stadt vagabundierte, legt die Teppiche seit einigen Jahren ausgehend von Zürichs Sechseläuten-Platz aus. Mit einem Budget von diesjährig 7.8 Millionen Franken und über 100‘000 erwarteten Eintritten ist das ZFF heute das nach Locarno zweitgrösste Filmfestival der Schweiz. Und was den Aufmarsch von Stars und Sternchen betrifft, läuft das Zurich Film Festival seit einigen Jahren allen den Rang ab.

Das liegt zum einen daran, dass das ZFF nebst drei Wettbewerbsprogrammen und diversen Nebensektionen eine Reihe sogenannter Gala-Premieren durchführt: Vorpremieren von Filmen, die in den folgenden Monaten im Kino starten. Dieses Jahr stehen auf der Liste der angekündigten Gäste Namen wie Oliver Stone, Agnieszka Holland, Julie Delpy, Donald Sutherland, Christian Schwochow, Rupert Goold, Daniel Brühl. Viele von ihnen sind nicht das erste Mal in Zürich, die meisten stellen neue Filme vor, einige bekommen einen Ehrenpreis. Cate Blanchett etwa, in Richard Linklaters „Where’d You Go, Bernadette“ anzutreffen, erhält für ihr Lebenswerk als Schauspielerin den „Golden Icon Award“. Roland Emmerich wird als Regisseur, der die Filmgeschichte massgeblich beeinflusst hat, mit einem „A Tribute to…“-Award ausgezeichnet. Kristen Stewart, in der Titelrolle von „Seberg“ (Benedict Anders) zu sehen, wird als „eine der brillantesten und talentiertesten jungen Schauspielerinnen Amerikas“ mit einem „Golden Eye Award“ geehrt.

Oliver Stone wird der Jury des Internationalen Spielfilmwettbewerbs als Präsident vorstehen. Zusammen mit ihm in der Jury sitzen werden der deutsche Schauspieler Sebastian Koch, die Tessiner Filmproduzentin Tiziana Soudani, die italienische Drehbuchautorin und Regisseurin Laura Bispuri und der Kolumbianer Ciro Guerra, dessen neustes Werk, „Waiting for the Barbarians“ am ZFF als Gala-Premiere gezeigt wird.

Als Themenschwerpunkte der ZFF-Edition 2019 erwähnte Karl Spoerri an der Pressekonferenz die Filme der „Grünen Welle“ sowie Filme, die sich auf Wahrheitssuche begeben. In die Kategorie der Ersteren fällt Niklaus Hilbers Eröffnungsfilm „Bruno Manser – Die Stimme des Regenwalds“ mit Sven Schelker in der Titelrolle des seit einigen Jahren verschollenen Schweizer Umweltaktivisten. Des Weiteren gehören dazu, in den unterschiedlichsten Sektionen anzutreffen, Alvaro Longorias Dokumentarfilm „Sanctuary“ über das Schmelzen der Antarktis, Lesley Chilcotts Porträt des Greenpeace-Mitbegründers und Sea Shepherd-Piraten Paul Watson („Watson“) und Richard Ladakanis „Sea of Shadows“ über eine Fischrettungs-Aktion im Golf von Kalifornien. Die Wahrheitssuche-Filme finden sich zusammengestellt im Spezialprogramm „Hashtag #SpeakingTheTruth“.

Als besondere Leckerbissen springen aus dem diesjährigen Programm fünf Filme ins Auge, die „wissenschaftlich relevante Themen einer breiten Gesellschaftsschicht auf attraktive und unterhaltsame Weise näherbringen“ und von denen einer mit dem neugeschaffenen „Science Film Award“ ausgezeichnet werden wird. Es sind dies nebst dem bereits erwähnten „Bruno Manser“: Darius Marders „Sound of Metal“ über einen Metal-Musiker mit Gehörsturz, Pailin Wedels „Hope Frozen“ über Kryo-Konservierung, „One Child Nation“, der Chinas Familien-Politik unter die Lupe nimmt, sowie „My Zoe“, in dem Julie Delpy eine Genetikerin im Kampf um das Leben ihrer Tochter ungewohnte Massnahmen ergreifen lässt.

Julie Delpy ist eine von 55 Regisseurinnen, die dieses Jahr am ZFF einen Film vorstellen. Damit erreicht man am ZFF – und darauf ist Nadja Schildknecht besonders stolz – einen im internationalen Vergleich stattlichen Frauenanteil von 46%. Das ist so ehrenwert und verdienstvoll, wie dass man in Zürich, wie die grüne Farbe der Teppiche verkündet, auf eine gewisse Nachhaltigkeit setzt und seit der 9. Ausgabe ein Programm für Kinder vorstellt. Dieses wurde fürs 15. ZFF von Christian Jungen zusammengestellt, dem ehemaligen Filmredaktor der NZZ am Sonntag und der Filmzeitschrift Frame, der dem ZFF ab 2020 als Direktor vorsteht.

Das ZFF 2019 aber steht nochmals voll und ganz unter der Leitung und dem glänzenden Stern von Schildknecht und Spoerri. Auch wenn die beiden an der Pressekonferenz ihren Abschied selber kaum thematisierten, muss man ihnen fairerweise danken: Mit dem ZFF haben sie einen kulturellen Anlass geschaffen, welcher Zürich nicht nur prächtig ansteht, sondern nachgerade in Zeiten, in denen die Kinoeintritte Jahr um Jahr tiefer ins Bodenlose sinken, regelrecht gut tut.
(Irene Genhart)

Infos etc.: zff.com/de/home/