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15. Internationale Kurzfilmtage Winterthur: Mal schweizerisch, mal international, immer mit reinem Gewissen. Von Irene Genhart

15. Internationale Kurzfilmtage Winterthur: Mal schweizerisch, mal international, immer mit reinem Gewissen. Von Irene Genhart

Dicht, bunt und kurzweilig präsentierte sich das Programm der Internationalen Winterthurer Kurzfilmtage 2011 – aber auch ungemein seriös. So dass man sich fast schon wehmütig des Wagemuts erinnerte, mit welchem man in Winterthurs wilden Anfängen auch dem Trash nachspürte.

Manchmal, meinte Reto Bühler, der künstlerische Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur, an der Pressekonferenz im Oktober, habe man sich beim Zusammenstellen des diesjährigen Programms gefragt, was an „Schweizer Filmen“ denn schweizerisch sei. Das Dilemma der Organisatoren liess sich beim Betrachten des Nationalen Wettbewerbsprogramms gut nachvollziehen: Das Schweizer Kurzfilmschaffen, wie es Winterthur präsentierte, scheint eine Phase des „going global“ zu durchlaufen: An einem Film, der wie „Nuvem“ portugiesisch gesprochen daherkommt, in Portugal gedreht wurde, eine Lissabon-Story erzählt und dessen Regisseur darüber hinaus dann auch noch einen Namen – Basil Da Cunha – hat, der in keiner Weise auf seine schweizerische Herkunft verweist, ist wenig „Schweizerisches“ auszumachen. Und ein Film wie Joerg Hurschlers apokalyptischer Foundfootage-Essay „Destroy Dreamland“ spiegelt eine persönliche Befindlichkeit, die mehr dem derzeitigen globalen Zeitgeist als der schweizerischen Herkunft des Regisseurs verhaftet ist.

Schweizerisches hinter dem Nicht-Schweizerischen
Doch es gab im CHurzfilm-Programm auch Filme zu entdecken, in denen das Schweizerische hinter dem Nicht-Schweizerischen unverhofft klar zu Tage trat. In Fabio Friedlis strichgezeichnetem „Bon Voyage“ (der notabene sehr zu Recht den Preis für den Schweizer Film einheimste) etwa steckt es im kurzen Realfilmschluss, in welchem der letzte Überlebende einer waghalsigen afrikanischen Emigranten-Odyssee in einem Büro drei bieder-brav-eidgenössischen Beamten gegenüber sitzt. Luka Popadics „Edmund un Knezevcu“ entpuppt sich seines serbischen Titels zum Trotz als Doku-Bio eines ausgewanderten Schweizer Anwalts. In Lorenz Suters „Der ewige Tourist“ bedenkt der in einem spanischen Ferienressort arbeitende, frauenheldische Protagonist seine Affären mit urhelvetischen Kosenamen wie „Strudeli“, „Chätzli“ und „Müsli“, und in Corina Schwingruber Ilics „Baggern“, stimmen die Baggerführer zum Schluss des poetischen Baumaschinen-Balletts ein hübsch schweizerdeutsches Frotzel-Liedchen an. Der allerschweizerischste Beitrag des diesjährigen CHurzfilm-Programms aber war Andrea Schweizers Animationsfilm „De Roni“, eine humorvolle Posse über einen schlauen Landfuchs, der sich in der Grossstadt als smarter Trendsetter durch den Alltag schummelt, dabei aber zur Gaudi der Umgebung und des Publikums immer mal wieder das Opfer seines sich bisweilen frech selbstständig agierenden Schwanzes wird.

Kurzweilig, bunt, formal vielfältig und handwerklich solide präsentierte sich das nationale Wettbewerbs-Programm der diesjährigen Winterthurer Kurzfilmtage also – und enthielt beim genauen Hinschauen auffallend viele Werke von Schweizer Filmschulabsolventen. Und hier, und nicht bei der Frage nach dem schweizerischen Gehalt der so genannten Schweizer Filme, müssten die Organisatoren von Winterthur in Zukunft ansetzen und sich fragen, ob ihr CHurzfilm-Programm auf die Dauer tatsächlich „bloss“ und vor allem eine Plattform für Schweizer Filmschüler und Schweizer Schulfilme sein will, oder nicht.

Der Blick der Fremden auf die Schweiz
Weit spannender als im CHurzfilm-Programm stellte sich die Frage nach des Schweizers Schweiz und das Schweizerische in „5 x 5 x 5“. In dem von Ivana Lalovic kuratierten, in Zusammenarbeit mit der Bernhard Lang AG und der Zürcher Hochschule der Künste erarbeiteten Projekt haben fünf Filmemacher aus fünf Kontinenten in den vergangenen sechs Wochen in der Stadt Winterthur und Umgebung je einen kurzen Dokumentarfilm realisiert. Am 11.11.2011 um 20 Uhr kam das Gemeinschaftswerk im Casino Winterthur zu Uraufführung – und entpuppte sich als Highlight der diesjährigen Kurzfilmtage: Wie sich da Gabriela Yepes aus Peru in „To give, to recieve, to return“ einer Winterthurer Streetworkerin an die Fersen heftet und sich in nächtlichen Skype-Gesprächen mit ihrer Mutter über das Wesen sozialen Engagements unterhält, der Serbe Ognjen Isailovic in „My Grandpa’s Garden“ einen Blick in Schweizer Wohnzimmer wirft, Adrian Francis aus Australien bei einem Jagdausflug in Winterthurs Wälder den letzten Stunden seines Vaters nachträumt oder Dirbdil Assefa Akriso aus Äthiopien sich wundert, dass sich neben Winterthurs Stadtkirche kein Friedhof befindet: Es war der ungetrübte Blick der Fremden, der da dem Alltäglich-Schweizerischen auf Leinwand eine erfrischende neue Couleur und dem Vertrauten bisweilen eine unerwartet witzige Pointe verlieh.

Weltpolitisch engagiert - aber wo bleibt der freche Pioniergeist?
In angenehm bunter Vielfalt präsentierte sich der internationale Wettbewerb. Das Globale bzw. Lokale, oder eben aber die Migration waren auch hier da und dort Thema. Ganz besonders zu gefallen vermochte der Beitrag der Finnin Elina Talvensaaris: „Miten marjoja poimitaan“ („How to Pick Berries“) einer wunderschön fotografierten und köstlich lakonischen Abhandlung über Finnlands Beeren-Industrie bzw. die im Spätsommer wie Heuschrecken im nordfinnischen Savukoski einfallenden Beerenpflücker aus Thailand, die während ein paar Wochen superfleissig über die Felder ziehen, nie zu schlafen scheinen und 2500 Euro Unkosten in Kauf nehmen, um schliesslich mit 600 bis 800 Euro Gewinn nach Hause zurück zu kehren. „That’s ok“ meinen sie zum Filmschluss: Globalisierung hat definitiv verschiedene Gesichter.

Der mit 12000 Schweizer Franken dotierte Hauptpreis der 15. Winterthurer Kurzfilmtage ging an Farid Bentoumis im Schwerpunktprogramm „Africa is…“ gezeigten, aber auch als Beitrag im Internationalen Wettbewerb geltenden „Brûleurs“ - auch dies die Geschichte einer bitter abenteuerlichen, von Afrika nach Europa führenden Migrations-Odyssee.

Tatsächlich zeigte sich Winterthur in seinem 15. Jahr in seinen Nebensektionen auffallend (welt)politisch engagiert: Hat man in „Africa is…“ den Fokus endlich, endlich, endlich! einmal auf das an europäischen (Kurz-)Filmfestivals gern zu kurz kommende Filmschaffen Afrikas gelegt, so beleuchtete man in „Hilfe. Die Schweiz kommt!“ durchaus kritisch Helvetiens humanitäre Hilfsbereitschaft. Und im Programm „Von Hiroshima bis Fukushima – Nukleare Propaganda“ widmete man sich, der Titel spricht Bände, einem brandaktuellen Thema. Wie gesagt: seriös und politisch engagiert war das alles, und man hat als Zuschauer vieles (neu) entdeckt und gelernt… Bloss der freche Pioniergeist, der Winterthur in seinen ersten, noch vor youtube liegenden Jahren massgebend prägte und den Zuschauern manch eine höchst erquickliche Begegnung mit dem (oft auch trashigen) Offoffoff-Kurzfilmschaffen dieser Welt bescherte, den hat man dieses Jahr in Winterthur fast vergeblich gesucht. Das ist jammerschade. Denn Witz, Humor, Kitsch, Satire und Groteske gehören (auch zur kurzen) Filmkunst grundsätzlich mit dazu, und ein wenig weniger Ernsthaftigkeit hätten dem Festival und den Zuschauern gut getan.
(Irene Genhart)

Preise der 15. Internationalen Kurzfilmtage

Hauptpreis (Fr. 12'000.-)
BRÛLEURS von Farid Bentoumi

Förderpreis für ein Regietalent (Fr. 10'000.-)
THREESOME von Johannes Dullin

Lobende Erwähnung
MWANSA THE GREAT der Sambierin Rungano Nyoni

Schweizer Preis (Fr. 8'000.-)
BON VOYAGE von Fabio Friedli

Schweizer Kamerapreis (Fr. 8'000.-)
Gabriel Lobos für seine Arbeit für LE DÉBUT DE LA FIN von Jean-François Vercasson

Publikumspreis (Fr. 10'000.-)
LAS PALMAS von Johannes Nyholm

Preis Schweizer Schulfilm (Fr. 5’000.-)
BON VOYAGE von Fabio Friedli

Shortrun-Preis für das vielversprechendste Drehbuch (Fr. 12'000.- Postproduktions-Sachleistungen)
Thaïs Odermatt für KURT UND DIE SESSELBAHN.