Sur L'Adamant
Berlinale 2023: Goldener Bär
Nicolas Philibert bietet in seinem bei der Berlinale 2023 mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten Dokumentarfilm einen berührenden Einblick in den Alltag in einer mitten in Paris vor Anker liegenden, schwimmenden Tagesklinik für Erwachsene mit psychischen Störungen.
2002 gelang dem französischen Dokumentarfilmer Nicolas Philibert mit "Être et avoir" ("Sein und haben") sein wohl größter Erfolg. Wie er dort kommentarlos einen Volksschullehrer und seine Schüler:innen in einer Dorfschule in der Auvergne über ein Schuljahr begleitete, so blickt er auch in "Sur l´Adamant" kommentarlos auf den Alltag auf dem am rechten Ufer der Seine liegenden Schiff Adamant, das seit 2010 als Tageszentrum für Erwachsene mit psychischen Störungen fungiert.
Sprechend ist dabei schon der Name des 650 Quadratmeter großen Schiffes, denn Adamant kann sowohl "die Unnachgiebige" als auch "Diamant" heißen. Ganz entsprechend diesem Namen scheint das Schiff so einerseits unnachgiebig gegenüber dem hektischen Treiben der Metropole auf der Seine zu ruhen, andererseits scheint die Bedeutung "Diamant" auf den großen Wert seiner Funktion, aber auch der Menschen, die hier Zuflucht suchen, zu verweisen.
Nur ein Insert am Beginn informiert über die Funktion dieses Schiffes und nach Blicken vom Ufer auf dieses schwimmende Gebäude aus Holz, verweilt der Film die folgenden gut 100 Minuten zur Gänze auf dem Schiff. In langen ruhigen Einstellungen lässt Philibert, der auch für die Kameraarbeit und zusammen mit Janusz Baranek für den Schnitt verantwortlich zeichnet, den ganz unterschiedlichen Besucher:innen viel Raum.
Nah dran ist die Kamera, halbnahe Einstellungen dominieren, doch nie kommt das Gefühl von Voyeurismus auf, denn immer ist Philiberts Empathie zu spüren. In der Geduld, mit der er auf diese am Rand der Gesellschaft stehenden Menschen blickt, wird Respekt spürbar, werden sie ernst genommen und ihnen ihre Würde und Achtung gegeben.
Eher am Rand bleibt das Betreuungspersonal, das aus Psychiater:innen und Krankenpfleger:innen ebenso wie aus Kunsttherapeut:innen besteht und die Patient:innen mit Workshops fördert. Lange sieht man dafür einem fast zahnlosen Mann beim Singen zu, hört einer erst vor kurzem eingebürgerten Bulgarin beim Singen der Nationalhymne ihrer Heimat zu, bis sie in Tränen ausbricht oder verfolgt wie eine Frau ein zunehmend flammendes Plädoyer für einen Körper-Workshop hält.
Dazwischen sieht man die Besucher:innen der Tagesklinik nicht nur bei solchen diversen Workshops beim Malen, Musizieren, Nähen oder Organisieren eines Filmfestivals, sondern Philibert lässt sie auch über ihre Krankheit erzählen. Bewegend berichten sie von inneren Stimmen oder Geräuschen, die sie verfolgen, und dass einzig Medikamente dafür sorgen, dass sie ein halbwegs ruhiges Leben führen können. Ohne diese würden sie nach eigener Aussage ausrasten.
Auf ein stringentes dramaturgisches Konzept verzichtet Philibert, der den Film zusammen mit der klinischen Psychologin und Psychoanalytikerin Linda de Zitter entwickelte. Lose reiht er vielmehr Szenen aneinander und hält sich selbst weitgehend zurück. Nur mit ganz wenigen Fragen meldet er sich aus dem Off zu Wort und verzichtet auch auf extradiegetische Filmmusik.
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Adok Films |
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