It Was Just An Accident - Yek Tasadef Sadeh
Filmkritik von Walter Gasperi
Ein Automechaniker glaubt in einem Kunden seinen einstigen Folterer im Gefängnis zu erkennen und will sich rächen. Der Kunde behauptet aber, dass dies eine Verwechslung sei: Jafar Panahi diskutiert in seinem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten 12. Spielfilm komplex und dicht die Frage, wie man mit Handlangern eines verbrecherischen Regimes umgehen soll.
Seit vielen Jahren ist Jafar Panahi wegen seiner gesellschaftskritischen Filme Repressalien des iranischen Regimes ausgesetzt. 2009 wurde er erstmals verhaftet und 2010 wegen "Propaganda gegen das Regime" zu einer sechsjährigen Haftstrafe und einem 20-jährigen Berufsverbot verurteilt, Drei Monate verbrachte er damals im berüchtigten Evin-Gefängnis, ehe er gegen Kaution freigelassen wurde. Im Juli 2022 folgte eine zweite Verhaftung und erst neun Monate später wurde er nach internationalen Protesten und einem Hungerstreik wieder freigelassen.
Doch trotz der Verfolgung und des Berufsverbots drehte der heute 65-Jährige in den letzten 15 Jahren in schöner Regelmäßigkeit weiterhin Filme, die auf internationalen Festivals gezeigt und prämiert wurden. Nach dem Goldenen Löwen für "Dayereh" ("Der Kreis") 2000 in Venedig und dem Goldenen Bären für "Taxi Teheran" 2015 in Berlin kam heuer für "It Was Just an Accident" in Cannes die Goldene Palme dazu. Panahi ist damit nach Michelangelo Antonioni, Robert Altman und Henri-Georges Clouzot, der allerdings sowohl in Cannes als auch in Berlin für "Le salaire de la peur" ausgezeichnet wurde, erst der vierte Regisseur, der den Hauptpreis der drei größten europäischen Filmfestivals gewinnen konnte.
Speziell seit er unter extremen Beschränkungen und ohne offizielle Drehgenehmigung im Geheimen arbeitet, sind seine Filme nach außen hin klein gehalten. Nur in seinem Haus spielte "Pardé (2013), vorwiegend in einem Taxi "Taxi Teheran". Eng gehalten ist auch der Rahmen von "It Was Just an Accident", zu dem ihn seine beiden Gefängnisaufenthalte inspiriert haben sollen. Mit wenigen Personen kommt der Film aus, die Handlung spielt nur während eines Tages und zentraler Schauplatz ist – wie bei vielen iranischen Filmen – ein Auto, in diesem Fall ein Kleinbus. Auch auf Filmmusik verzichtet Panahi.
Schon die erste Einstellung, in der die Kamera von Amin Jafari lange und bewegungslos durch die Windschutzscheibe eines Autos auf ein Paar und seine auf dem Rücksitz sitzende etwa achtjährige Tochter blickt, gibt den Erzählrhythmus und die Erzählweise vor.
Lange, vorwiegend statische Einstellungen, in denen die Figuren ihre Positionen diskutieren bestimmen den ganzen Film. Die Kamera ist meist auf Augenhöhe, auf inszenatorische Spielereien wird verzichtet und schon ein Blick aus Vogelperspektive auf den Kleinbus sticht hier heraus. So einfach im Grunde die Inszenierung ist, so dicht und konsequent erzählt Panahi auch seine ebenso einfache wie gleichzeitig komplexe Geschichte.
Wird bei der den Film eröffnenden nächtlichen Autofahrt das Bild eines liebenswerten Familienvaters (Ebrahim Azizi) gezeichnet, so kippt dieser Eindruck ins Gegenteil, als der Mann nach einer Kollision mit einem Hund seinen Wagen in eine Autowerkstatt bringt. Dort glaubt nämlich der Mechaniker Vahid (Vahid Mobasseri) im Kunden am Quietschen von dessen Beinprothese seinen einstigen Folterer im Gefängnis, den er aufgrund einer Augenbinde nie zu Gesicht bekam, zu erkennen.
So stellt Vahid dem Mann nach, entführt ihn und will ihn außerhalb der Stadt in der Wüste in einem rasch ausgehobenen Grab lebendig begraben. Weil der Beschuldigte aber immer wieder betont, dass es sich hier um eine Verwechslung handle, kommen Vahid Zweifel auf: Irrt er sich vielleicht und zieht er hier einen Unschuldigen zur Verantwortung? – So kontaktiert er weitere ehemalige Gefangene, um Gewissheit über die Identität des Entführten zu gewinnen.
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