Vorschau auf das 66. San Sebastián Filmfestival. Von Geri Krebs
Die 66. Ausgabe des San Sebastián Filmfestival eröffnet am kommenden Freitagabend 21.9. mit der Romantischen Komödie „El amor menos pensado“ von Juan Vera aus Argentinien. Juan Vera, seit vielen Jahren als Produzent und auch als Drehbuchautor bekannt, gibt hier sein Regiedebüt mit einem Film, dessen männliche Hautrolle ein alter Bekannter des Festivals verkörpert: Ricardo Darín. Der argentinische Superstar wurde 2017 in San Sebastián mit dem Premio Donostia ausgezeichnet und war auch in den Jahren davor mit schöner Regelmässigkeit am Festival präsent gewesen – und der Zufall will es, dass er auch im diesjährigen Eröffnungsfilm von Cannes, Asgar Farhadis „Todos lo saben“, als Protagonist zu sehen war. „El amor menos pensado“ ist einer von 18 Filmen des Hauptwettbewerbs. Gleich vier Filme dieser Sektion stammen aus Spanien, wobei deren zwei von Regisseuren sind, die in den letzten Jahren die Goldene Muschel, den Hauptpreis in San Sebastián, gewonnen hatten: Isaki Lacuesta, Gewinner von 2011, präsentiert dieses Jahr mit „Entre dos aguas“ ein Drama um zwei Brüder, während Carlos Vermut, Gewinner von 2014, mit „Quien te cantara“ ein an Filme von Pedro Almodóvar erinnerndes Melodrama über eine verschwundene Sängerin vorlegt. Von den anderen beiden spanischen Wettbewerbsfilmen, „El reino“ von Rodrigo Sorogoyen, und „Yuli“ von Iciar Bollaín, hat ersterer mit dem Thema der Korruption besondere Aktualität im Spanien der Gegenwart , während die Regisseurin von letzterem auch bei uns bekannt ist – ihre beiden letzten Filme „El olivo“ und „Tambien la lluvia“ waren auch in hiesigen Kinos erfolgreich gelaufen – und sie legt nun mit „Yuli“ ein dokufiktionales Porträt über den kubanischen Tänzer Carlos Acosta vor, der sich hier selber spielt. Aus Spaniens Nachbarland Frankreich sind mit den neuen Filmen von Claire Denis, „High Life“, einem Science-Fiction-Märchen, und von Louis Garrel, „L'homme fidèle“, einem Beziehungsdrama, gleich zwei prominente Namen vertreten. Das gilt auch für die Japanerin Naomi Kawase, die mit ihrem Liebesdrama „Vision“ um die Goldene Muschel kämpft und den Belgier Felix Van Groeningen, dessen von Brad Pitt produzierte Bestsellerverfilmung „Beautiful Boy“ von einem Vater erzählt, der gegen die Drogensucht seines Sohnes kämpft.
Starke Schweizer Präsenz
Eine mittlere Sensation stellt schliesslich die Tatsache dar, dass erstmals seit über zwanzig Jahren ein Schweizer Film im Hauptwettbewerb vertreten ist, „Der Unschuldige“ von Simon Jacquemet. Dem Zürcher Regisseur ist nun mit der Platzierung seines zweiten Films - der von einer Neurowissenschaftlerin erzählt, die durch Wiederbegegnung mit einem früheren Geliebten ihr seelisches Gleichgewicht verliert - im Hauptwettbewerb ein Coup geglückt, den so noch kein Schweizer Regisseur zuvor geschafft hat. Bereits 2014 war Jacquemet in San Sebastián verteten, damals mit seinem Erstling „Chrieg“, der im Nachwuchswettbewerb der „Nuevos Directores“ lief. Im vergangenen Jahr hatte dort Lisa Brühlmanns „Blue My Mind“ - diesjähriger Gewinner des Schweizer Filmpreises - seine Weltpremiere gefeiert, und in auch in diesem Jahr ist unter den 15 Filmen der „Nuevos Directores“ wieder ein Schweizer Beitrag zu finden: „Der Läufer“ des 1983 geborenen Hannes Baumgartner. Mit einem grossartigen Max Hubacher in der Hauptrolle, zeigt „Der Läufer“, basierend auf einem realen Fall aus dem Jahr 2002, mit radikaler Konsequenz den Weg eines Triebtäters und verweigert sich dabei einfachen Erklärungsmustern.
Zusammenarbeit mit dem Zurich Film Festival
„Der Läufer“ ist einer von zwei Filmen aus dem Wettbewerb der „Nuevos Directores“, der eine Woche nach seiner Premiere in San Sebstián auch am Zurich Film Festival im dortigen Wettbewerb laufen wird – der andere ist „Cold November“, ein in den 1990er Jahren angesiedeltes Drama aus dem Kosovo des jungen kosovarischen Regisseurs Ismet Sijarina. Insgesamt sind es dieses Jahr nicht weniger als 22 Filme, die nach ihrer Premiere in San Sebastián anschliessend ans Zurich Film Festival weitergereicht werden, das seit fast zehn Jahren eine enge Zusammenarbeit mit dem Festival am Golf von Biskaya pflegt. Die Filme aus San Sebastián sind am ZFF in diversen Sektionen zu sehen, die meisten in der Sektion „Gala Premieren“, dort laufen unter anderem auch drei der erwähnten Wettbewerbsfilme aus San Sebastián („High Life“, „L'homme fidèle“ und „Beautiful Boy“). Der Premio Donostia, die Auszeichnung für ein Lebenswerk wird auch in diesem Jahr – wie bereits 2017 – gleich dreifach verliehen: an den diesjährigen Cannes-Gewinner Hirokazu Kore-eda, sowie an zwei Schauspiellegenden: an den 73 jährigen US-Amerikaner Dany de Vito und an die 10 Jahre ältere Judi Dench. Die äusserst vitale britische Schauspielerin reist von San Sebastián aus dann gleich weiter ans Zurich Film Festival, um dort dann am 3. Oktober den Golden Icon Award entgegenzunehmen. Frauenpower gibt es schliesslich auch in der Retrospektive, hier werden sämtliche Filme von Muriel Box (1905 – 1991) vorgestellt, einer zu Unrecht wenig bekannten britischen Regisseurin, die in den 1930er Jahren als Drehbuchautorin begann bis sie schliesslich ab Anfang der 1950er Jahre ins Regiefach wechselte und dort in dieser damals absoluten Männerdomäne reüssierte. Höchste Zeit also, das Werk dieser Pionierin in Sachen Gleichberechtigung im Filmbusiness – wieder – zu entdecken.
(Geri Krebs)
|