Die 24. Internationale Kurzfilmtage Winterthur. Von Irene Genhart
Auch in Zeiten der Pandemie: ein bunter Strauss kurzer Filme
Die 24. Internationalen Kurzfilmtage Winterthur finden vom 3. bis 8. November in hybrider Form statt. Einiges ist anders, als in anderen Jahren. So zum Beispiel ist ein Teil des Programms nicht nur in Winterthur und nicht nur im Kino, sondern auch online oder (zum Teil zeitlich verzögert) in anderen Schweizer Städten zu sehen. Anderes bleibt, wie es war: das dem kurze Filmschaffen gewidmete Programm in seiner bunten Vielfalt, dessen Kern der nationale und internationale Wettbewerb bilden. Und der Esprit der Organisatoren, die bereits im Sommer energisch verlauten liessen: „Winterthur findet statt!“
Der Trailer, anlässlich des Zurich Film Festival im September lanciert, zeigt: eine Kettensäge, eine Spraydose mit roter Farbe, zwei Frauen in einem Wald, im Hintergrund eine grüne Hügelkette. Während ein abgetrenntes Ohr, ein abgeschnittener Unterschenkel, ein zweigeteiltes Auto und ein ebensolcher Schäferhund sowie von den Wurzeln getrennte Bäume durch die Luft schweben, singen die zwei Ladies im Duett. Dass eine Kettensäge laut, schwer und teuer, und deswegen als Mordinstrument denkbar ungeeignet ist. Dann wird die verschmitzt auf Filmgeschichte und Mordsfilme wie die The Chainsaw-Massacre-Reihe verweisende Szene weggewischt. Das ist kurz, knapp, pointiert. Fein angedacht, ein bisschen schräg und schwarzhumorig: Wie jedes Jahr, haben die Organisatoren der Kurzfilmtage, der künstlerische Leiter, John Canciani, und der in Co-Leitung fürs Geschäftliche zuständige Stefan Dobler, den Trailer als Carte Blanche-Auftrag an eine/n Schweizer Kunstschaffende/n vergeben. Dieses Jahr fiel die Wahl auf die Thurgauer Autorin und Regisseurin Rhona Mühlebach; dass der Trailer angesichts der pandemisch etwas angespannten Lage auch ein bisschen makaber wirkt, dürfte nicht unbedingt beabsichtigt sein.
Denn bei den Kurzfilmtagen hat man, es muss im Sommer gewesen sein, beschlossen zu agieren statt zu reagieren. „Wir finden statt!“ war eine erste Pressemitteilung im Frühherbst überschrieben. Tatsächlich finden die 24. Kurzfilmtage vom 3. bis 8. November nun statt als hybrides Festival. Zum Teil virtuell online, zum Teil physisch vor Ort. Im Casinotheater Winterthur, das nach wie vor als Festivalzentrum figuriert. Auf Plätzen und in Kinos in Winterthur; zeitgleich aber auch in diversen anderen Schweizer Städten wie Biel, Lausanne, Zürich, Basel, Bern, Frauenfeld, Romanshorn. Man versucht sich ballende Massen und grosses Herumreisen zu vermeiden. Hat deswegen keine, weder Schweizerische noch aus dem Ausland kommende, Gäste eingeladen.
Damit man nicht in letzter Sekunde doch noch gegroundet wird, hat man das Programm modular gestaltet. Einzelne, vor allem thematische Programme werden grundsätzlich online gezeigt. So die zwei Fokus-Programme, die zum einen das neuere Kurzfilmschaffen aus Festland-China, Hongkong und Taiwan (Grosser Fokus) beleuchten und zum anderen einen Blick auf die Ukraine (Land im Fokus) richten. Beide Programme rücken Länder und Gebiete in den Fokus, die in jüngerer Zeit immer wieder in den Schlagzeilen standen. Die Ukraine, weil sie seit 25 Jahren – Tschernobyl, Maidan, Krimkrieg – immer wieder zum global ausstrahlenden Krisengebiet wird. Und China, weil es sich seit einigen Jahren hervor als Nation, die sich auszeichnet durch einen ungeheuren (und manchmal auch ungeheuerlichen) Erneuerungswillen. Die beiden Programme, die sich mit der aktuellen Wirtschafts- und Arbeitswelt in China aber auch der politischen Untergrundbewegungen in der Ukraine beschäftigen, die den jungen Menschen den Puls nehmen oder sich dem aktuellen Animationsfilmschaffen von China zuwenden, stehen 3. bis 15. November weltweit kostenlos online zur Verfügung. So es die Situation zulässt, wird „Land im Fokus: Ukraine“ in Winterthur auch im Kino gezeigt.
Verzichtet wird in Winterthur dieses Jahr auf das Programm „Person im Fokus“. Nur online stattfinden werden sowohl die Schulvorführungen, die Schweizer Filmschulentage, wie auch die Industry Events. Man will den Filmemachenden das, was an den Kurzfilmtagen immer mit vom Wichtigsten war, nämlich die Möglichkeit zur Vernetzung und zum Austausch, auch dieses Jahr bieten. Damit alle möglichst an allem teilnehmen können, finden die „Industry Events“ verteilt über vier Tage statt. Auch die Preisverleihung am Sonntag, 8. November, wird virtuell stattfinden, der Link dazu wird im Verlaufe des Festivals auf kurzfilmtage.ch aufgeschaltet. Verzichten wird man in Winterthur dieses Jahr auch auf Partys, Konzerte etc.
Was nicht heisst, dass in Winterthur vom 3. bis 8. November nicht doch einiges los sein wird. Sowohl der nationale wie der internationale Wettbewerb werden im gleichen Umfang wie bisher durchgeführt. Und wenn immer möglich finden dessen Vorführungen unter Einhaltung strenger Schutzmassnahmen im Kino Cameo und im Casino statt. Man sollte über Wettbewerbe im Voraus bekanntlich ja nicht schreiben. Doch es findet sich im Programm einiges, das aufmerken lässt. So werden in Winterthur in Welturaufführung gezeigt: Wong Pings experimentelle Arbeit „The Modern Way to Shower“ sowie Stefan Kruse Jørgensen „A Lack of Clarity“, der mit Aufnahmen von Thermokameras arbeitend die zunehmende Überwachung thematisiert. Als intellektueller Leckerbissen kündigt sich Mitch McCabes „Civil War Surveillance Poems (Part 1)“ an, der als erster Teil einer fünfteiligen Reihe von spekulativen, experimentellen und hybriden Kurzfilmen der Möglichkeit eines zweiten amerikanischen Bürgerkriegs nachspürt. Gespannt sein darf man aber auch auf Güzin Kars im Schweizerprogramm gezeigte „Deine Strasse“, in dem sich die pfiffige Autorin und Kolumnistin eine bisher wenig bekannte Seite ihres Schaffens zeigt. Ebenfalls im nationalen Wettbewerb zu sehen sind der neuste Film von Georges Schwizgebel („Darwin’s Notebook“) und Roman Hodels in Venedig uraufgeführter „Das Spiel“, der ein Fussballspiel aus Sicht eines Schiedsrichters zeigt.
Ebenfalls für die Kinovorführung vor Ort geplant sind die zwei Hors Concours-Programme, sowie diverse Kinder- und Jugendprogramme. Zu den ersteren gehören die „Züri Shorts“, die allerhand Neues aus Zürich zeigen, sowie die „Hot Shorts“: eine Reihe von sprudelnder Kreativität zeugende Werke wie etwa ein die Fortpflanzung von Lachsen erklärender Animationsfilm von Manuela Leuenberger, Joel Hofmann und Veronica L. Montaño („Lachsmänner“) oder Gar O’Rourkes „Kachalka“, der vorführt, wo und wie die härtesten Kerle der Ukraine ihre Körper stählen.
Winterthur wäre nicht Winterthur, wenn das filmische Schaffen hier nicht auch ausserhalb der Kinosäle stattfinden würde. „Expanded Cinema“ nennt sich das im Fachjargon, für gewöhnlich versteht sich darunter Installations-, Video- und Performance-Kunst in multimedialer Verbindung. Das „Expanded Cinema“ Programm – etwa die als „Kopfkino: Verteidigungsrede des somalischen Piraten““ angekündigte Performance des Künstlerkollektivs Group Nous Christian Etzenberges Installation „Spinne“ Robert Seidls Videoinstallation „sfumato“ und – werden zum Teil inhouse gezeigt, findet aber auch openair, auf verschiedenen Plätzen in Winterthur statt. Und so ist Winterthur dieses Jahr neu und wie bisher zugleich. Man werde wohl einiges neu Geschaffenes in die Zukunft mitnehmen meint John Canciani. Dieses Jahr ist man flexibel und nimmt alles, wie es kommt. Um sicher zu sein, dass die hier im Text gemachten Angaben stimmen empfiehlt sich dringend der Blick auf die Website der Kurzfilmtage, auf der sich auch die Zugänge zu den nur online stattfindenden Veranstaltungen finden: https://www.kurzfilmtage.ch
Irene Genhart
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