Cannes 2014 – Auftakt und Vorschau. Von Doris Senn
Das ist Cannes 2014: ein skandalumwittertes Biopic zum Auftakt: „Grace of Monaco” – 18 Filme im Wettbewerb (darunter 2 von Regisseurinnen) – und, oh Wunder!, ein neuer Godard.
Ein Skandal zum Anfang …
Am Mittwoch eröffnet das 67. Filmfestival von Cannes mit „Grace of Monaco” von Olivier Dahan („La vie en rose”) mit Nicole Kidman und Tim Roth in den Hauptrollen. Die Weltpremiere des Films, der bereits einen kleinen Skandal ausgelöst hat, ist wie geschaffen für den Auftakt am prestigeträchtigen Festival an der Côte-d'Azur: Fürst Rainier und Grace Kelly lernten sich 1955 während des Festivals kennen – und Monaco liegt bekanntlich in unmittelbarer Nachbarschaft der Stadt an der Côte-d'Azur. Doch die monegassische Fürstenfamilie hatte schon am Drehbuch Änderungen angebracht, die anscheinend nicht berücksichtigt wurden, und distanzierte sich im unmittelbaren Vorfeld des Festivals vom Film, in dem Fürst Rainier als tyrannischer Gatte dargestellt und gemäss Angehörigen eine „unnötig glamourisierte” Geschichte umgesetzt wurde. Die Fürstenfamilie sagte deshalb ihre Teilnahme an der feierlichen Eröffnung des Filmfestivals Cannes ab.
Vom 25-jährigen Dolan bis zum 84-jährigen Godard
Im mit 18 Titeln leicht geschrumpften Wettbewerb präsentiert sich ein altersmässig gut durchmischtes Line-up: Der 25-jährige Xavier Dolan präsentiert als Jüngster seinen fünften Film: „Mommy” – sein vierter in Cannes, aber sein erster im Wettbewerb. Das kanadische Wunderkind, das schon mit vier Jahren vor der Kamera stand, hat erst als Schauspieler, dann als Regisseur eine kometenhafte Karriere hingelegt und schreibt seine Filme nicht nur selbst – er spielt darin oft auch die Hauptrolle (so etwa in „J'ai tué ma mère”, „Les amours imaginaires” oder in „Tom à la ferme”). Ältester Vertreter im Wettbewerb ist der 84-jährige Jean-Luc Godard – der sich nicht an sein Wort hält: Er hatte seinen „Film socialisme”, den er 2010 in Cannes präsentierte (ohne dass der öffentlichkeitsscheue Regisseur dort erschienen wäre), als sein „letztes” Werk bezeichnet. In der Zwischenzeit nahm er jedoch am Triptychon „3x3D” gemeinsam mit Peter Greenaway und Edgar Pêra teil. Obwohl Godard das 2013 in Cannes gezeigte Experiment mit der Dreidimensionalität noch als «Three Desasters» umschrieb, scheint er am neuen Format Gefallen gefunden zu haben und präsentiert nun seinen jüngsten Film, „Adieu au langage”, ebenfalls in 3-D.
Gruppenbild mit 2 Damen
Cannes schaffte es in den vergangenen Jahren immer wieder, in Chauvinismus zu „glänzen”, hatte das Festival doch wiederholt seinen Wettbewerb ohne eine einzige Frau zusammengestellt. Das hat nun die Europäische Audiovisuelle Informationsstelle aufgerüttelt, die im diesjährigen Cannes einen Workshop unter dem Titel organisiert: „Girls Just Wanna Have Film! – Welcher Platz für Frauen in der heutigen Filmindustrie?” Immerhin stehen in Cannes dieses Jahr zwei Regisseurinnen in der Wettbewerbsauswahl: einerseits die 44-jährige japanische Naomi Kawase, die schon mehrfach in Cannes ausgezeichnet wurde und letztes Jahr Teil der Jury war. Sie präsentiert mit „Futatsume no mado” ihren 14. Langfilm: Naomi Kawase, die bei ihren Grosseltern aufwuchs, widmet sich häufig den autobiografisch geprägten Themen Familie, Tod, Abschied.
Für das 33-jährige Nachwuchstalent Alice Rohrwacher andererseits ist es nach ihrem zweiten Film „Corpo celeste” bereits ihre zweite Einladung nach Cannes. Sie präsentiert „Le meraviglie” über einen Vater, der seine vier Töchter in einer Art Endzeitstimmung von der Aussenwelt abschirmt – von jener aber unwillentlich eingeholt und überrollt wird. Als Protagonistin agiert Rohrwachers Schwester: Alba Rohrwacher.
Illustere Namen aus Nord und Süd und Ost und West
In diesem Jahr präsentiert sich ein erfrischend vielfältiges Länderkaleidoskop: etwa die Türkei mit Nuri Bilge Ceylan („Once Upon a Time in Anatolia”) und seinem „Winter Sleep”, Argentinien mit Damián Szifrón und „Relatos salvajes”, Mauretanien mit Abderrahmane Sissako mit „Timbuktu” oder Russland mit Andrei Petrowitsch Swjaginzew und „Leviathan”. Und gleich zwei Altmeister des New British Cinema treten im diesjährigen Wettbewerb an: Mike Leigh mit „Mr. Turner” und Ken Loach, der erst vor zwei Jahren in Cannes mit dem Jurypreis für „The Angels' Share” ausgezeichnet wurde, mit „Jimmy's Hall”. Aus Kanada stammen nebst Dolan auch Atom Egoyan mit seinem neusten Werk „Captives” und Kultregisseur David Cronenberg mit „Maps to the Stars”. In den USA gedreht wurden der Western „The Homesman” von Tommy Lee Jones, in dem nebst dem Regisseur in der Hauptrolle auch Hilary Swank und Meryl Streep mitspielen, sowie „Foxcatcher” von Bennett Miller über das Familiendrama des Olympia-Goldmedaillenträgers Mark Schultz. Während die belgischen Dardenne-Brüder „Deux jours, une nuit” präsentieren, kommt aus Frankreich ein weiteres Porträt von (Yves) „Saint Laurent” (von Bertrand Bonello), „The Search” von Michel Hazanavicius, der als erster französischer Regisseur für seinen „The Artist” mit einem Regie-Oscar ausgezeichnet wurde, und das von Olivier Assayas in der Schweiz gedrehte Drama „Clouds of Sils Maria” mit Juliette Binoche, Kristen Stewart und Gilles Tschudi.
Schweiz nur punktuell vertreten und in Koproduktionen
Während die Schweiz sich durch den französisch-schweizerischen Godard im Wettbewerb und die Teilnahme von Ursula Meier und Jean-Luc Godard am Omnibusfilm „Les ponts de Sarajevo” zumindest teilweise vertreten fühlen darf, tritt sie ansonsten einzig als (minoritäre) Koproduktionspartnerin auf – so für Rohrwachers Film „Le meraviglie”, bei „Clouds of Sils Maria” oder „Les ponts de Sarajevo”.
… und ein Skandal zum Schluss
Ausserhalb der offiziellen Cannes-Auswahl und in einer ausschliesslichen Vorführung für die Branche soll „Welcome to New York” gezeigt werden – über den Sexskandal rund um Dominique Strauss-Kahn mit Gérard Depardieu und Jacqueline Bisset in den Hauptrollen unter der Regie von Abel Ferrara („Bad Lieutenant”). Dabei soll der nicht minder skandalträchtige Film bei der Auswertung neue Wege gehen: Eine Kinoauswertung wird gar nicht erst angepeilt, sondern wenige Stunden nach der Weltpremiere soll der Film online als Video on Demand zu sehen sein.
Das 67. Festival von Cannes findet vom 14. bis 25. Mai 2014 statt.
Die Preisverkündigung des Wettbewerbs ist am 24. Mai.
(Doris Senn)
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