74. Film Festival Locarno. Giona A. Nazzaros erstes Programm - Eine Bilanz von Walter Gasperi
Während Carlo Chatrian im Wettbewerb dem sperrigen Film eine Plattform bot, blickt der neue künstlerische Leiter Giona A. Nazzaro stärker aufs Publikum: Der Rückblick auf seine erste Ausgabe fällt durchwachsen aus.
Unter Carlo Chatrian war der Wettbewerb von Locarno mit der Fokussierung auf ästhetisch innovativen, aber sperrigen Filmen, die sich nicht um Erzählkonventionen scheren, teilweise mühsam. Geballt bekam man solche schwere Kost vom Italiener präsentiert, doch gerade mit diesem klaren Profil des Wettbewerbs und der Programmierung von Filmen, die im regulären Kino keine Chance haben, gewann er einerseits die Sympathien intellektueller Filmjournalisten und empfahl sich anderserseits als Nachfolger von Dieter Kosslick bei der Berlinale.
Nach einem kurzen Intermezzo von Lili Hinstin, die das Festival 2019 und die hybride Kleinfassung 2020 leitete, zeichnete nun erstmals Giona A. Nazzaro für das Programm verantwortlich. Schon vorab erklärte er, dass er ein Festival fürs Publikum machen wolle und dieses Versprechen hat er zweifellos gehalten.
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Goldener Leopard für "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash"
Doch etwas überraschend zeichnete die von der US-Amerikanerin Eliza Hittman geleitete fünfköpfige Jury den Actionfilm "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash" des Indonesiers Edwin mit dem Goldenen Leoparden auch. Auch der Regiepreis für Abel Ferrara für "Zeros and Ones" war nicht zu erwarten.
2012 zeigte der Indonesier Edwin im Wettbewerb der Berlinale mit "Postcards from the Zoo" einen sehr langsamen und ereignisarmen Film, nun lässt der 43-Jährige mit "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash" das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen. Von Anfang an setzt er auf Tempo, wenn zunächst junge Männer ähnlich wie im James Dean-Klassiker "Rebel Without a Cause" ihre Maskulinität und ihren Mut bei Motorradrennen beweisen, ehe sich ein fulminant choreografierter langer Kampf zwischen dem Protagonisten und einer jungen Frau entwickelt. In ihr findet der Mann nicht nur ein gleichwertiges Gegenüber, sondern es entwickelt sich auch eine Liebe, die aber von kindlichen Traumata beider überschattet und gefährdet wird.
Zweifellos fulminant ist der Auftakt und die Abrechnung mit einer Männlichkeit, die im Kampf Impotenz kompensiert, hat Witz und Biss, allerdings stellte sich bei der ersten Sichtung auch das Gefühl ein, dass Edwin bei dieser Verfilmung eines Romans von Eka Kurniawan den Stoff nicht wirklich in den Griff bekam. Leicht konnte man hier nämlich angesichts der Dichte der Dialoge bzw. Untertitel, der Fülle der Figuren und einer ausufernden, auch immer wieder mit Rückblenden arbeitenden Handlung den Überblick verlieren. – Den Goldenen Leoparden gab es dafür trotzdem.
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Preise
INTERNATIONALER WETTBEWERB | |
Goldener Leopard |
SEPERTI DENDAM, RINDU HARUS DIBAYAR TUNTAS (Vengeance is Mine, All Others Pay Cash) von Edwin, Indonesien / Singapur / Deutschland |
Spezialpreis der Jury |
JIAO MA TANG HUI (A New Old Play) von QIU Jiongjiong, Hong Kong / Frankreich |
Preis für die beste Regie |
Abel Ferrara für ZEROS AND ONES, Deutschland / Vereinigtes Königreich / Vereinigte Staaten |
Beste Darstellerin |
Anastasiya Krasovskaya für GERDA von Natalya Kudryashova, Russland |
Bester Darsteller |
Mohamed Mellali und Valero Escolar für SIS DIES CORRENTS (The Odd-Job Men) von Neus Ballús, Spanien |
Besondere Erwähnungen |
SOUL OF A BEAST von Lorenz Merz, Schweiz ESPÍRITU SAGRADO von Chema García Ibarra, Spanien / Frankreich / Türkei |
WETTBEWERB "CINEASTI DEL PRESENTE" | |
Goldener Leopard |
BROTHERHOOD von Francesco Montagner, Tschechien / Italien |
Preis für die beste Nachwuchsregie |
Hleb Papou für IL LEGIONARIO, Italien / Frankreich |
Spezialpreis der Jury |
L'ÉTÉ L'ÉTERNITÉ von Émilie Aussel, Frankreich |
Beste Darstellerin |
Saskia Rosendahl für NIEMAND IST BEI DEN KÄLBERN von Sabrina Sarabi, Deutschland |
Bester Darsteller |
Gia Agumava für WET SAND von Elene Naveriani, Schweiz / Georgien |
FIRST FEATURE | |
Preis für den besten Debütspielfilm |
SHE WILL von Charlotte Colbert, Vereinigtes Königreich |
Besondere Erwähnung |
AGIA EMI (Holy Emy) von Araceli Lemos, Griechenland / Frankreich / Vereinigte Staaten |
KURZFILMWETTBEWERB "PARDI DI DOMANI" | |
Internationaler Wettbewerb | |
Goldener Leopard |
FANTASMA NEON (Neon Phantom) von Leonardo Martinelli, Brasilien |
Silberner Leopard |
LES DÉMONS DE DOROTHY (The Demons of Dorothy) von Alexis Langlois, Frankreich |
Beste Regie |
Eliane Esther Bots für IN FLOW OF WORDS, Niederlande |
Preis der Medien Patent Verwaltung AG |
MUHIRA (Home) von Myriam Uwiragiye Birara, Ruanda |
Besondere Erwähnung |
FIRST TIME [THE TIME FOR ALL BUT SUNSET - VIOLET] von Nicolaas Schmidt, Deutschland |
Kurzfilm vom Locarno Film Festival, der für die European Film Awards kandidiert |
IN FLOW OF WORDS von Eliane Esther Bots, Niederlande |
Nationaler Wettbewerb | |
Goldener Leopard |
CHUTE (Strangers) von Nora Longatti, Schweiz |
Silberner Leopard |
AFTER A ROOM von Naomi Pacifique, Vereinigtes Königreich / Niederlande / Schweiz |
Preis für das beste Schweizer Nachwuchstalent |
Flavio Luca Marano und Jumana Issa für ES MUSS (It Must), Schweiz |
PIAZZA GRANDE | |
Publikumspreis |
HINTERLAND von Stefan Ruzowitzky, Oesterreich, Luxemburg, Belgien, Deutschland |
Variety Award |
ROSE von Aurélie Sadaa, Frankreich |
UNABHÄNGIGE JURIES | |
Preis der Ökumenischen Jury |
SOUL OF A BEAST von Lorenz Merz, Schweiz |
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