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53. Solothurner Filmtage - Schlussbericht von Irene Genhart

53. Solothurner Filmtage - Schlussbericht von Irene Genhart

Heftige (No Billag-)Diskussionen, herausragende neue Dokumentarfilme und Marcel Gislers „Mario“.

„No No Billag“ oder „Doch No Billag“, es war an den Solothurner Filmtagen alles zu hören. Und sei Letzteres, wie es manchmal schien, bloss aus Übermut, um Diskussionen anzufeuern: Wenn man in Solothurn anlässlich diverser Anlässe locker plaudernd zusammenstand und dann spasseshalber jemand fragte, ob sich in der Runde jemand befinde, der noch nie von der SRG „Lohn“ bezogen habe, herrschte – sofern sich unter den Anwesenden nicht ein wirkliches Greenhorn befand – Schweigen. Tatsächlich ist die SRG nebst Bund und diversen kantonalen Einrichtungen das dritte Standbein des Schweizer Films. Ohne die SRG – das heisst: ohne Billag – wird, darüber waren sich letztlich alle einige, der Schweizer Film in der jetzigen Form nicht weiter existieren. Er wird, anders ausgedrückt, den Bach heruntergehen. Was der Dachverband der Schweizer Filmbranche (Cinésuisse) sich nach dem heftig geführten "No Billag - No Future"-Panel am Mittwoch dem 31.1. nicht nehmen liess, bildlich vor Augen zu führen. Indem ein buntes Trüppchen, in dem sich auch die Festivalleiterin Seraina Rohrer befand, von der grossen Solothurner Fussgängerbrücke demonstrativ alte Schweizer-Film-Rollen in die Aare warf. (Dass diese der Umwelt zuliebe zum Schluss der Aktion wieder aus dem Wasser gezogen und in Müllsäcken entsorgt wurden, wollen wir hier nun nicht auch symbolisch verstehen.) Die anstehende No Billag-Abstimmung war in Solothurn tatsächlich allgegenwärtig. Und sie hat – man soll das hier bitte nicht falsch verstehen – vielleicht ja auch etwas Gutes. Weil sie zwingt, Fragen zu stellen. Nicht nur die von staatlichen Sendern verbreiteten Rundfunk-Inhalte betreffende, sondern auch sozialstaatliche Fragen. Dabei wird einmal mehr klar, dass Filme – Medien – eine gesellschaftliche Funktion haben und dass der Diskurs darüber (und deren Existenz), anders als in der Schweiz in der letzten Jahren zu beobachten, nicht nur von marktwirtschaftlichen Kriterien bestimmt werden sollte.

Jenseits der No Billag-Diskussionen

Welche Folgen – welchen Verlust – die Annahme der „No Billag“ für den Schweizer Film, die Schweizer Filmbranche, die Schweizer Filmfestivals hätte, haben drastischer noch als die in den Fluss geworfenen alten Film die Solothurner Filmtage selber demonstriert. Am Eröffnungsabend nämlich hat der neue Präsident Felix Gutzwiller, in seiner Rede launig gekalauert, dass er hoffe, in einem Jahr nicht „zum Solothurner Filmtag“ begrüssen zu müssen. Das wäre wirklich jammerschade. Denn Solothurn als Werkschau ist nicht nur das schweizerischste aller Schweizer Filmfestivals, sondern auch dasjenige, in dem heftiger als überall sonst über die Belange des Schweizer Films gesprochen wird. Diese Jahr etwa über die Qualität und Förderung der Schweizer Drehbücher, bzw. die Bedingungen, unter denen Schweizer Drehbücher entstehen und Drehbuchautoren arbeiten. Da diesbezüglich die Weiterbildung von Focal eigentlich gut abgedeckt wird, stand vor allem die Schaffung eines eigenen Studienganges für Drehbuchautoren im Raum… die Diskussion darum ist ebenso fortzusetzen wie diejenige über die Rolle, welche neue Technologien auf die Filmmusik und den Beruf von (Schweizer) Filmmusikkomponisten haben.

Die Gewinnerfilme

Und dann hat man in Solothurn natürlich auch Filme angeschaut. Rund 63’000 Eintritte wurden gezählt, damit bewegen sich die Zahlen entsprechend der etwas reduzierten Anzahl gezeigter Filme im Rahmen der vorangehenden Jahre. Der zum zehnten Mal verliehene „Prix de Soleure“ (Jury: Xavier Koller, Pascale Kramer, Flavia Kleiner, 60‘000 CHF) ging an den Erstlingsfilm „Des moutons et des hommes“ von Karim Sayad. Der im letzten September am Festival von Toronto ur-aufgeführte Dokumentarfilm spielt in Algier. Er taucht in eine reine Männergesellschaft, deren Gefüge von illegalen Schafbockkämpfen bestimmt wird. Die Jury sieht darin ein Gesamtkunstwerk, in dem „Regie, Kameraführung, Licht, Framing, Schnitt, Rhythmus, die Bewegungen der Darsteller und Schafe in perfekter Harmonie“ zusammenspielen. Auch der mit 20‘000 CHF dotierte „Prix du Public“ ging an einen Dokumentarfilm: den in Weltpremiere gezeigten „Der Klang der Stimme“ von Bernard Weber, Weber hat, zusammen mit Martin Schilt, den Solothurner Publikumspreis schon einmal geholt, 2012 für seinen Jodlerfilm „Die Wiesenberger“. Tatsächlich ist „Der Klang der Stimme“, der vier, bzw. fünf Protagonisten folgend dem Faszinosum der menschlichen Stimme nachforscht, dem, was sich im Extremen daraus machen lässt, indirekt eine Fortsetzung von Webers Auseinandersetzung mit dessen, was man gemeinhin als „Magie der Stimme“ bezeichnet.

Starker Dokumentarfilmjahrgang

Es waren die 53. Solothurner Filmtage ein starkes Dokumentarfilm-Jahr. Zu den schönsten Neuentdeckungen – alle Weltpremieren hat die Schreibende nicht gesehen – gehören: „A Long Way Home“ von Luc Schaedler, der in der Begegnungen mit Künstlern den bis heute fühlbaren Folgen der chinesischen Kulturrevolution nachgeht; Wilfried Meichtrys „Bis ans Ende der Träume“ ein Doppelporträt der Schweizer Reisejournalistin Katharina Von Arx und der Liebe ihres Lebens, des französischen Fotografen Freddy Drilhon. In nicht ganz finaler Fassung vorgeführt, aber bombenstark auch, ist „Chris the Swiss“, in dem sich die Animationsfilmerin Anja Kofmel mit ihrem im Jugoslawienkrieg ums Leben gekommenen Cousin auseinandersetzt. Von den dreizehn in Solothurn uraufgeführten Spielfilmen – auch diese hat die Schreibende nicht alle gesehen – dürften sicher noch zu reden geben: „Ondes de choc – Journal de ma tête“ von Ursula Meier und „Ondes de choc – Prénom: Mathieu“ von Lionel Baier, und „Mario“ von Marcel Gisler. Meiers und Baiers Film werden an der diesjährigen Berlinale im Programm Panorama laufen. Und „Mario“, ein in Fussballerkreisen spielendes Schwulendrama mit Max Hubacher in der Hauptrolle, greift mutig ein Tabuthema auf und wurde, wie an der Nacht der Nominierungen in Solothurn bekannt wurde, in vier Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert. Der absolute Spitzenreiter unter den Schweizerfilmpreis-Kandidaten aber ist, bereits im Kino zu sehen und mit insgesamt sieben Nominationen gekürt: Lisa Brühlmanns Adoleszenz-Drama „Blue My Mind“.
(Irene Genhart)