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18. ZFF: Switzerland goes crazy und die Welt verändert sich

18. ZFF: Switzerland goes crazy und die Welt verändert sich

Vom 22.9.-2.10.22 stand Zürich im Bann des 18. Zurich Film Festivals. Dessen Programm erwies sich als so durchzogen wie das Wetter, das sonniger Milde, einen stürmischen Wetterumsturz folgen liess und schliesslich in grauverhangener Regennässe verharrte. Was man am Zurich Film Festival immer so genau weiss, weil man das Wetter im Zentrum auf dem Sechseläutenplatz direkt zu spüren bekommt. Dies übrigens auch auf dem da ausgelegten grünen Teppich, über den am 1.10. ein adrett glamourös gekleidetes Publikum zur Preisverleihung ins Opernhaus strömte. Die drei Hauptpreise des 18. ZFFs gingen an Filme aus der Schweiz, Kolumbien und der USA, den Publikumspreis holte die Schweizerin Laura Kaehr mit „Becoming Giulia“.

Zum 18. Mal fand das Zurich Film Festival dieses Jahr statt und es ist, wie Christian Jungen es formulierte, somit „volljährig“ geworden. Tatsächlich hat das ZFF sich in den achtzehn Jahren seines bisherigen Bestehens vom gross angedachten, aber in anfänglich noch ziemlich improvisierten Filmanlass zu einem der glamourösesten und (vermutlich auch finanziell) grössten Filmfestivals im deutschsprachigen Raum gemausert, abgesehen davon ist es heute eines der grössten Herbstfilmfestivals Europas.

Man setzte in Zürich von Anfang an stark auf die Präsenz von internationalen Stars und nationaler Prominenz und hatte im Geschäftlichen eine geschickte Hand. Auch programmtechnisch machte man ziemlich alles richtig. Man setzte und setzt in dem in drei Kategorien aufgeteilten Wettbewerb auf erste, zweite und dritte Werke von Filmschaffenden und macht das ZFF so zum Fest für Entdeckerfreudige. Parallel dazu offeriert man dem Publikum in den Rahmenprogrammen „Gala-Premieren“ und „Special-Screenings“ einen ersten Blick aufs Kinoprogramm der kommenden Monate, darunter finden sich auch viele Filme, die ins Oscar-Rennen steigen. Nicht zuletzt etabliert sich das ZFF je länger, je mehr auch als Start-Rampe für neue Schweizer Filme.

Das alles macht das ZFF überaus attraktiv, auch wenn die diesjährigen Publikums-Zahlen noch nicht bekannt, dürften diese rosig präsentieren, war doch weit mehr als bloss eine Aufführung brechend voll. Dass das ZFF-Programm mit allein 42 Filmen in drei Wettbewerben und über 100 anderen auch noch gezeigten überfüllt ist und man als Zuschauer (oder als Journalistin) öfters im Clinch steht, ob man nun lieber einem Star zujubeln möchte oder sich doch in den Films eines (noch) unbekannten Regisseur wagt, lässt sich leben. Doch wenn das ZFF in seiner Medienmitteilung schreibt, der in drei Kategorien gegliederte Wettbewerb bilde „das Herzstück des Festivals“, möchte man den Veranstaltern ein bisschen widersprechen. Als Herzstück wahrgenommen werden aus Publikumssicht Filme, die in den drei grössten Sälen des ZFFs (Kongresshaus, Corso 1, Arthouse Le Paris) gezeigt werden. Doch da sind Filme aus den ZFF Wettbewerben nur ausnahmsweise zu sehen.

Zu den Filmen, die mir persönlich im diesjährigen Rahmenprogramme am besten gefallen haben, gehören: „Close“, in dem Lukas Dhont mit unglaublich grossem Feingefühl für seine jungen Protagonisten vom erschütternden Ende einer Bubenfreundschaft erzählt. Marie Kreutzers „Corsage“, der uns Kaiserin Elisabeth von Österreich fern jeglicher Sissi-Niedlichkeit als starke und kluge Frau entdecken lässt. „Dalíland“ von Mary Harron, die uns eine Ahnung davon vermittelt, wie (nicht nur) emotional abhängig der grosse Salvador Dalí von seiner exzentrischen Gattin Gala war. Nicht zuletzt Martin McDonaghs „The Banshees on Inisherin“, der auf einer kleinen irischen Insel zur Zeit des Bürgerkriegs spielt und eine herzzerreissend erschütternde und zugleich tief makabre Geschichte einer Männerfreundschaft erzählt; die Hauptrollen gehörten, wie bereits in „In Bruges“, Brendon Cleeson und Colin Farrell.

Auch einige Schweizer Filme wurden im Rahmen von Gala Premieren und Special Screenings gezeigt. Ursula Meiers heftiges Familiendrama „La Ligne“, das an der Berlinale seine Uraufführung gefeiert hatte, Barbara Kulcsars „Die goldenen Jahre“, eine Komödie um eines Paares turbulenten Start in den dritten Lebensabschnitt, Heinz Bütlers Porträt von Albert Anker („Albert Anker. Malstunden bei Raffael“), in dem übrigens der im Februar 2022 verstorbene Berner Schriftsteller und Singer-Songwriter Endo Anacaonda auf Leinwand noch einmal zu sehen ist.

Im Rahmen der „Special Screenings“ zur Uraufführung kamen am ZFF auch Jan Gassmanns harscher Liebesfilm „99 Moons“ und „Mad Heidi“ von Johannes Hartmann und Sandro Klopfenstein. „Mad Heidi“, mittels Crowd Founding finanziert und von den Machern als erster „Swissploitation-Film“ angekündigt, erwies sich als köstlich abstruse Gaudi, bei der Schweizer Heimatfilm-Klischee, die Heidi-Geschichte, Schweizer Käse, „Mad Max“, „Kill Bill“ und einiges anderes potpourri-mässig durcheinanderwirbeln. Dem Premierenpublikum hat es gefallen. Und Max Rüdlinger, der darin den Kommandanten Knorr spielt, hat nach der Aufführung glaubhaft gekalauert, dass er Militär zwar kann, aber mit Waffengewalt nichts am Hut hat, oder so.

Als weitere Schweizer Filme zur Uraufführung kamen am ZFF Elena Avdijas „Cascadeuses“ und Laura Kaehrs „Becoming Giulia“. Avadijas Dokumentarfilm erzählt aus dem Leben von drei Stuntfrauen und beleuchtet dabei ein knallhartes, von Männern dominiertes Business, in dem die Akteurinnen allzu oft im Schatten bleiben. Kaehrs dokumentarisches Porträt begleitet eine Primaballerina des Zürcher Balletts nach der Geburt ihres ersten Kindes zurück auf die Bühne. Beide Filme liefen im „Fokus Wettbewerb“; Avdija holte mit ihrem Film eines der drei Goldene Augen, die Rahmen der Wettbewerbe verteilt werden; Kaehr den ZFF-Publikumspreis.

Das Goldene Auge des „Dokumentarfilm Wettbewerbs“ ging an Reed Harkness für „Sam Now“, einen Film um den Regisseur und seinen Halbbruder Sam, die Jahre nachdem ihre Mutter spurlos verschwunden ist diese zu suchen beginnen. „Wir danken diesen wunderbaren Filmemachern und ihrer Familie für ihren Mut, ihren Weg des Schmerzes und des Heilens mit uns zu teilen“, schrieb die Jury unter Vorsitz von Alexander Nanau in ihrer Begründung. Das Goldene Auge für den Besten Beitrag des Spielfilm Wettbewerbs holte Laura Mora Ortega mit „Los reyes del mundo“ in dem fünf junge Männer aus Medellín in Kolumbiens Hinterland aufbrechen, um sich am Ort, von dem ihre Eltern einst vertrieben wurden, eine neue Existenz aufzubauen.

Die heimlich grosse Gewinnerin des diesjährigen ZFF aber ist Carmen Jacquier, die für ihren Spielfilmerstling „Foudre“ – er spielt zur vorletzten Jahrhundertwende in den Schweizer Bergen – nicht nur eine besondere Erwähnung der Jury erhielt, sondern auch den Kritikerpreis und den Filmpreis der Zürcher Kirchen holte.

Mir persönlich ins Auge gesprungen sind aus den Wettbewerbsprogrammen: „Girl Gang“, in dem Susanne Regine Meures eine Jugendliche aus Berlin während vier Jahren auf ihrem Weg zur Instagram-Influencerin begleitet. Tine Rogolls leichtfüssige Romanze „Sachertorte“, in welcher Max Hubacher in der Hauptrolle Karls um seine vermeintliche Traumfrau wiederzusehen Hals über Kopf nach Wien reist und dann während Monaten täglich um 15 Uhr im Café Sacher ein Stück der titelgebenden Torte verspeist. Nicht zu vergessen: „Cowboy Poets“ vom Schotten Mike Day, der uns darin nicht nur Cowboys und Cowgirls entdecken lässt, die ihre Lebensweise in wunderschönen Gedichten Liedern besingen, sondern in prächtigen Landschaftsaufnahmen auch den Blick eröffnet auf die Folgen der Klimaerwärmung an Orten, von denen diesbezüglich noch kaum je etwas zu hören war.

Das 18. Zurich Film Festival war programmatisch betrachtet eines der bisher vielfältigsten und besten. Übers Ganze ins Auge gesprungen sind eine in vielen Filmen anzutreffende, veränderte Erzählweise, der eine andere Wahrnehmung von Gesellschaft und Kultur vorausgehen. So eröffnen Filme wie „Dalíland“, „Corsage“ oder auch „Tschaikovky’s Wife“ von Kirill Serebrennikov den Blick auf historische Personen nicht im Bedürfnis, diese und ihre Verdienste zu rühmen, sondern um deren Persönlichkeit in Bezug auf Entourage und Umfeld zu ergründen. Es sind dabei auffällig die Schicksale von Frauen, die dabei neu ins Rampenlicht gerückt und unter neuer Perspektive auch erzählt werden. Das gilt übrigens auch für „Mad Heidi“, der seine Titelheldin nicht mehr (nur) als liebreizende Maid aus den Schweizer Alpen zeigt, sondern auch als schlagfertige und vife Martial Arts-Kämpferin.

Und dann möchte ich hier zum Schluss noch den Film erwähnen, dem ich – nicht nur aufgrund der momentanen Ereignisse – persönlich einen Preis gegeben hätte. „Until Tomorrow“ von Ali Asgari, in dem eine junge Frau einen ganzen Tag lang durch Teheran irrt, um ihr unehelich geborenes Baby vor ihren Eltern zu verstecken, zum Schluss des Films aber in tiefer Nacht doch mit dem Kind im Arm vor ihren Eltern steht. Was ihn bewege, in seinem Film, die Geschichte einer Frau zu erzählen, wurde Asgari vor der Filmaufführung gefragt. Er sei, antwortete Asgari, mit sechs Schwestern aufgewachsen und die Situation iranischer Frauen sei ihm durchaus bewusst.
(Irene Genhart)

Das 19. Zurich Film Festival findet vom 28.9.-8.10.2023 statt

zff.com

Preise des 18. ZFF

Spielfilm-Wettbewerb LOS REYES DEL MUNDO
Regie: Laura Mora
Besondere Erwähnungen WAR PONY
Regie: Gina Gammell und Riley Keough
ex-aequo UNTIL TOMORROW / TA FARDA
Regie: Ali Asgari
   
Fokus-Wettbewerb CASCADEUSES
Regie: Elena Avdija
Besondere Erwähnung FOUDRE
Regie: Carmen Jaquier
   
Dokumentarfilm-Wettbewerb SAM NOW
Regie: Reed Harkness
Besondere Erwähnungen THE NEW GREATNESS CASE
Regie: Anna Shishova
ex-aequo THE KILLING OF A JOURNALIST
Regie: Matt Sarnecki
   
Publikumspreis BECOMING GIULIA
Regie: Laura Kaehr
   
Emerging Swiss Talent Award (Kritikerpreis) FOUDRE
Regie: Carmen Jaquier
   
Science Film Award THE TERRITORY
Regie: Alex Pritz
   
Filmpreis der Zürcher Kirchen FOUDRE
Regie: Carmen Jaquier
   
Beste internationale Filmmusik Robert IJserinkhuijsen
   
ZFF für Kinder  
Jurypreis LUCY IST JETZT GANGSTER
Regie: Till Endemann
Publikumspreis MY ROBOT BROTHER
Regie: Frederik Meldal Nørgaard
   
Ehrenpreise  
A Tribute to ... Award Luca Guadagnino
Golden Icon Award Sir Ben Kingsley
Career Achievement Award Rachel Portman
Golden Eye Award Eddie Redmayne
Golden Eye Award Charlotte Gainsbourg
Game Changer Award Michael Barker und Tom Bernard