18. ZFF: Christian Jungens (voraussichtlich) gutes drittes Jahr
So viele Stars wie noch nie, so viele Premieren wie noch nie, so viele Filme von Regisseurinnen wie noch nie: Das 18. Zurich Film Festival, das dritte unter der künstlerischen Leitung von Christian Jungen, bricht etliche Rekorde. Tatsächlich gibt es am 18. ZFF viele tolle neue Filme zu entdecken. Doch ebenso spannend wie das, was es während dem ZFF im Kino zu sehen gibt, ist das, was es im Rahmen des Festivals sonst noch zu entdecken gibt. Moderierte Gespräche, bei denen Filmschaffende aus der ganzen Welt Einblick in ihre Arbeit gewähren. Der „3. Zürcher Filmlauf“, bei dem diverse im Bereich Film tätige Stadtzürcher Firmen dem Publikum ihre Tür öffnen. Exklusiv in Zürich zu sehen ist während dem Filmfestival auf dem Sechseläutenplatz der „Vision Avtr“, ein Konzeptfahrzeug, inspiriert von James Camerons Film „Avatar“, das Mensch, Maschine und Natur in zukunftsweisender Art interagieren lässt.
Sonderlich angenehm hat sich Christian Jungens Einstand als Festivaldirektor in den zwei von der Pandemie bestimmten, letzten Jahren nicht gestaltet. Doch nun scheint die Baisse vorbei. Christian Jungen hat das Festival souverän durch die schwierige Zeit geführt und kann sich heute rühmen, dass das Zurich Film Festival eines von weltweit wenigen und das in der Schweiz einzige Filmfestival ist, das in den letzten zwei Jahren im Kino stattfand. Jungens drittes Jahr als Artistic Director verspricht nun ein richtig gutes zu werden. Dementsprechend um einiges entspannter als in der Vergangenheit präsentierte er zusammen mit der Geschäftsführerin Elke Mayer der Presse unlängst das Programm des 18. Zurich Film Festivals.
Insgesamt 146 Filme, konnte Jungen verkünden, kommen am ZFF 2022 zur Aufführung. Darunter der nachgereichte und deswegen im gedruckten Programmheft nicht aufgeführte Film- Noir-Thriller „Marlowe“ von Neil Jordan mit Liam Neeson in der Rolle des weltbekannten Privatdetektiven und Diane Kruger in der Rolle einer Femme fatale, die diesen zur Beschattung ihres Ex-Mannes aufbietet.
41,4 % der am ZFF gezeigten Filme – und somit anteilmässig so viele wie nie zuvor – wurden von Frauen gefertigt. 38 der insgesamt 146 Filme – und damit ebenfalls so viele bisher nie – werden am 18. ZFF in Welt- oder zumindest Europapremiere gezeigt. Auch wenn sich darunter, anders als letztes Jahr mit der James Bond-Premiere, kein absolutes Highlight findet, stehen im Rahmen der Gala-Premieren doch die Uraufführung einiger heiss erwarteter, grosser Filme an.
So etwa diejenige von „The Good Nurse“, dem ersten englischsprachigen Film des Dänen Tobias Lindholm, mit Eddie Redmayne in der Hauptrolle eines mordslustigen Krankenpflegers. Oder diejenige von „Bones and All“, des neuen Films von „Call Me By Your Name“-Regisseur Luca Guadagnino, der darin eine schaurig-schöne Liebesgeschichte um zwei Kannibalen erzählt. Auch in Weltpremiere zur Aufführung kommt Sönke Wortmanns „Der Nachname“, die nicht minder bissige Fortsetzung seiner bitterbösen Gesellschaftskomödie „Der Vorname“ und Tom Sterns und Celyn Jones‘ Drama „The Almond and the Seahorse“. Schweizer Produktionen haben es zwei ins Gala-Programm geschafft: der Politthriller „A Forgotten Man“ des Westschweizers Roland Nègre nach Thomas Hürlimanns Bühnenstück „Der Gesandte“ und „Die goldenen Jahre“, eine Komödie von Barbara Kulcsar, die von eines frisch pensionierten Schweizer Ehepaares turbulentem Start in den neuen Lebensabschnitt erzählt.
Als „Weltweite Festivalpremiere“ angekündigt ist das Drama „Lieber Kurt“, der neue Film von und mit Til Schweiger. Til Schweiger wird seinen Film nach Zürich begleiten. Und so wie Schweiger, werden viele andere Filmschaffende in den letzten Septembertagen 2022 den Weg nach Zürich finden. Man erwarte am 18. ZFF so viele internationale Stars wie noch nie, strahlte Jungen an der Pressekonferenz in die Runde. Wie viele es schliesslich tatsächlich sein werden, wird sich während dem Festival erweisen und danach erst in Zahlen belegen lassen.
Fast garantiert antreffen wird man auf des ZFFs grünen Teppichen die Empfänger diverser im Ehrenpreise. Den italienischen Filmregisseur Luca Guadagnino, der für sein filmisches Werk den „A Tribute to… Award“ bekommt. Die britische Filmkomponistin Rachel Portman, die den „Career Achievement Award“ in Empfang nehmen wird, sowie Charlotte Gainsbourg und Eddie Redmayne, die für ihr schauspielerisches Schaffen je einen „Golden Eye Award“ erhalten.
Der „Golden Icon Award“ für eine aussergewöhnliche Karriere schliesslich geht dieses Jahr an Sir Ben Kingsley. Dass ausgerechnet im Programmheft das „Sir“ in Sir Ben Kingsleys Namen vergessen ging, dürfte Jungen fuchsen. Tatsächlich hat er der versammelten Presse anlässlich der Pressekonferenz ans Herz gelegt, dieses „Sir“ nie wegzulassen, weil es, wie man ihm mitgeteilt habe, fixer Bestandteil des Namens sei. Sir Ben Kingley ist am ZFF zu sehen in Mary Harrons „Dalíland“, einem Biopic über die späten Jahre des grossen Malers Salvador Dalì.
Eröffnet wird das 18. Zurich Film Festival am 22.09.22 mit „The Swimmers”, einem Drama von Sally El Hosaini, Das auf wahren Begebenheiten beruhende Drama erzählt von zwei Schwestern, die als Kriegsflüchtlinge aus Syrien 2016 an die Olympische Spiele in Rio de Janeiro reisen, dabei nicht nur ihre Fähigkeiten als Schwimmerinnen beweisen, sondern auch zu Botschafterinnen aller Vertriebenen und Geflohenen agieren.
Die Eröffnungsveranstaltung des 18. ZFF findet im Kongresshaus statt, dem mit 1‘200 Plätzen grössten Abspielstätte des Festivals. An der Inneneinrichtung des 2021 erstmals bespielten Saals, in den man für die Dauer des Festivals jeweils extra eine Leinwand einbaut, – es soll notabene die grösste Indoor-Leinwand Europas sein – wurde 2022 noch einiges verbessert. So wurde, um den Hall zu dämpfen, der Boden des Kongresshaussaales dieses Jahr mit Teppichen belegt. Und um das Klangerlebnis zu verbessern wurden an der Tonanlage etliche Verbesserungen vorgenommen.
Man hat am ZFF schon seit längerem ein Ohr für Sound und Filmmusik: Seit 2012 führt das Festival in Zusammenarbeit mit der Tonhalle-Gesellschaft Zürich und dem Forum Filmmusik alljährlich einen Filmmusikwettbewerb durch, bei dem es darum geht, die Musik für einen Kurzfilm zu komponieren. 2022 war der Sechsminüter „The Foundling“ von Barney Cokeliss an der Reihe. 218 Komponisten und Komponistinnen aus 42 Ländern nahmen am Wettbewerb teil. Eine Jury unter dem Vorsitz der britischen Filmkomponistin Rachel Portman hat aus den Eingaben drei Finalisten bestimmt. Die drei Werke werden Rahmen eines Konzerts in der Tonhalle Zürich am 29. September 2022 vom Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Frank Strobel uraufgeführt, anschliessend findet die Preisverleihung statt.
Christian Jungen hat das bereits grosse Engagement des ZFFs für den Filmsound und die Filmmusik nun noch zusätzlich verstärkt. Er hat eine neue Programmsektion mit Namen „Sounds“ ins Leben gerufen, welche den Fokus auf die Beziehung von Film und Musik legt. Gezeigt wird eine Reihe von Spiel- und Dokumentarfilmen, bei denen die Tonspur im Zentrum steht oder die durch aussergewöhnliche Filmmusik bestechen. Es sind dies Titel wie „Nothing Compares“ von Kathryn Ferguson, „Sirens“ von Rita Baghdadi, „Taurus“ von Tim Sutton und Florian Sigls „The Magic Flute“, der Mozarts gleichnamige Jahrhundertoper magisch verwunschen neu entdecken lässt.
In Zusammenarbeit mit der vom 27. bis 30. September 2022 stattfindenden SoundTrack_ Zurich 03, einer viertätigen Fachtagung schweizerischer und europäischer Filmkomponisten, findet zudem eine Reihe öffentlich zugänglicher Veranstaltungen – Konzerte, Gespräche oder auch Filmvorführungen mit Live-Vertonung – statt. Das Programm dazu gibt es hier: https://soundtrackzurich.com/program/
Unter den weiteren, bereits seit einigen Jahren bedienten Nebensektionen des ZFF sind dieses Jahr besonders zu erwähnen: Das Programm „Neue Welt Sicht“, das sich dieses Jahr mit dem spanischen Filmschaffen auseinandersetzt. „Hashtag #MyReligion“ welches das Augenmerk auf unterschiedliche Glaubensrichtungen lenkt. Das Programm „Border Lines“, das auch dieses Jahr Werke zeigt, die sich mit Grenzsituationen auseinandersetzen; Alex Pritz‘ „The Territory“, der aus Sicht von Indigenen die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes schildert, ist hier ebenso anzutreffen, wie Patrico Guzmáns „Mi país imaginario“ um eineinhalb Millionen Chilenen, die, obwohl die Regierung die Armee gegen sie aufbietet, für die Einführung der Demokratie, eine neue Verfassung und bessere Bildung unerschrocken auf die Strasse gehen.
Das Zurich Film Festival ist ein Publikumsfestival, bei dem das Darum Herum – die Präsenz internationaler Stars, Gala-Premieren, öffentliche Diskussionen – seit jeher stark im Zentrum steht. Etwas bewusster als seinen Vorgängern scheint es dem ehemaligen Filmjournalisten Christian Jungen zu sein, dass ein Festival im internationalen Vergleich letztlich an seinem Wettbewerb – oder Wettbewerben – gemessen wird. Drei sind es in Zürich seit einigen Jahren. Im dritten Jahr unter Jungen sind die drei Sektionen, die im Programmheft allein schon durch ihre deutsche Bezeichnungen („Spielfilm Wettbewerb“ „Dokumentarfilm Wettbewerb“, „Fokus Wettbewerb CH/DE/AT) hervorstechen, zum ersten Mal genau gleich gross und somit gleichwertig. Gezeigt werden in jeder Sektion 14 erste, zweite oder dritte Regiearbeiten, die in den letzten 12 Monaten entstanden sind. Zu gewinnen gibt es dreimal je einen Hauptpreis, ein sogenannt Goldenes Auge, dotiert mit je 25‘000 CHF, erkoren werden die drei Gewinner von drei unabhängigen, internationalen Jurys. Im Fokus Wettbewerb wird zudem der mit 10‘000 CHF dotierte ökumenische Filmpreis der Zürcher Kirchen vergeben.
Die Preisverleihung aller drei Sektionen findet im Rahmen der Award Night am 1. Oktober 2022 im Zürcher Opernhaus statt. Ebenso vergeben wird an der Award Night der ZFF Publikumspreis.
Irene Genhart
Infos & Programm: https://zff.com/de/home/
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