78. Locarno Film Festival: Goldener Leopard für "Two Seasons, Two Strangers" von Sho Miyake – Ein Resümee von Walter Gasperi

Nach einem durchwachsenen Wettbewerb zeichnete die fünfköpfige Jury mit Sho Miyakes "Tabi to Hibi" ("Two Seasons, Two Strangers") den Film aus, der erst am letzten Festivaltag gezeigt wurde. – Auch die Vergabe weiterer Preise überrascht teilweise.
Wie beinahe jedes Jahr in Locarno und bei jedem Festival sah man auch heuer weder auf der Piazza Grande noch im Wettbewerb nur gute Filme. Durchquälen musste man sich so durch manche Vorführung und, wenn bei vier Filmen am Tag ein richtig guter dabei war, konnte man zufrieden sein, bei zwei war man schon sehr glücklich.
Fanden in den letzten Jahren die letzten Pressevorführungen immer am Donnerstag statt, so wurde heuer der nunmehrige Siegerfilm "Tabi to Hibi" ("Two Seasons, Two Strangers") auch der Presse erst am Freitag gezeigt. Sichtung musste hier deshalb leider entfallen, da die Abreise schon für Freitag vormittag gebucht war und der Film offensichtlich auch nicht in der den Journalist:innen zugänglichen Digital Library zugänglich ist.
So praktisch diese Einrichtung im Grunde ist, so problematisch erscheint sie freilich auch. Denn vermehrt werden so Journalist:innen in Zukunft nur noch zwecks Interviews mit den Stars, die auf Festivals mehr oder weniger zahlreich anzutreffen sind, nach Locarno oder auch zu anderen Festivals anreisen, da die Filme – oder zumindest ein Teil der Auswahl - ja online an jedem Ort der Welt gesichtet werden können. Die Festivals demontieren sich mit Digital Libraries somit quasi selbst.
Während mit Sho Miyake ein weitgehend unbekannter 41-jähriger japanischer Regisseur mit dem mit 75.000 Schweier Franken dotierten Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde, ging Miyakes renommierte Landsfrau Naomi Kawase, die mit "Yakushima´s Illusion" großes gefühlvolles Kino im Wettbewerb zeigte, wieder einmal leer aus.
Mit einer "Lobenden Erwähnung" wurde auch Alexander Koberidzes wunderbar entschleunigtes Roadmovie "Dry Leaf" abgespeist, wurde aber immerhin von den Filmjournalist:innen mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet.
Einigermaßen überraschend ist auch, dass die offizielle Jury "White Snail" von Elsa Kremser und Levin Peter nicht nur mit dem mit 30.000 Schweizer Franken dotierten Spezialpreis der Jury auszeichnete, sondern auch Marya Imbro und Mikhail Senkov mit dem Darsteller:innenpreis. Für letzteren hätten sich beispielsweise durchaus auch das Frauentrio Susanne Wolff, Jil Krammer und Hildegard Schmahl in Rosanne Pels Familienporträt "Donkey Days" angeboten.
Verwunderlich ist auch, dass auch noch ein zweiter Darsteller:innenpreis an Manuela Martelli und Ana Marija Veselčić für ihre Leistungen in Hana Jušićs "Bog Neće Pomoći" ("God Will Not Help") vergeben wurde. Bildstark, aber auch etwas träge erzählt die Kroatin in ihrem Anfang des 20. Jahrhunderts spielenden zweiten Spielfilm von einer Chilenin, deren Eindringen in eine patriarchale kroatische Hirtengemeinschaft zu Spannungen führt.
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Preise
INTERNATIONALER WETTBEWERB | |
Goldener Leopard |
TABI TO HIBI (TWO SEASONS, TWO STRANGERS) von Sho Miyake, Japan |
Spezialpreis der Jury |
WHITE SNAIL von Elsa Kremser und Levin Peter, Oesterreich/Deutschland |
Preis für die beste Regie |
Abbas Fahdel für TALES OF THE WOUNDED LAND, Libanon |
Bester Darstellerensemble |
Manuela Martelli und Ana Marija Veselčić in BOG NEĆE POMOĆI (GOD WILL NOT HELP) von Hana Jušić, Kroatien/Italien/Rumänien/Griechenland/Frankreich/Slowenien |
ex-aequo |
Marya Imbro and Mikhail Senkov in WHITE SNAIL von Elsa Kremser und Levin Peter, Oesterreich/Deutschland |
Besondere Erwähnung |
DRY LEAF von Alexandre Koberidze, Deutschland/Georgien |
WETTBEWERB "CINEASTI DEL PRESENTE" | |
Goldener Leopard |
TÓC, GIẤY VÀ NƯỚC… (HAIR, PAPER, WATER…) von Nicolas Graux und Trương Minh Quý, Belgien/Frankreich/Vietnam |
Preis für die beste Nachwuchsregie |
Cecilia Kang für HIJO MAYOR, Argentinien/Frankreich |
Spezialpreis der Jury |
GIOIA MIA (SWEETHEART) von Margherita Spampinato, Italien |
Beste Darstellerin |
Aurora Quattrocchi in GIOIA MIA (SWEETHEART) von Margherita Spampinato, Italien |
Bester Darsteller |
Levan Gelbakhiani in DON’T LET THE SUN von Jacqueline Zünd, Schweiz/Italien |
KURZFILMWETTBEWERB "PARDI DI DOMANI" | |
Internationaler Wettbewerb | |
Goldener Leopard für den besten Autorenkurzfilm |
A VERY STRAIGHT NECK von Neo Sora, Japan/China |
Silberner Leopard |
STILL PLAYING von Mohamed Mesbah, Frankreich |
Beste Regie |
PRIMERA ENSEÑANZA (PRIMARY EDUCATION) von Aria Sánchez und Marina Meira, Kuba/Spanien/Brasilien |
Preis der Medien Patent Verwaltung AG |
FORCE TIMES DISPLACEMENT von Angel Wu, Taiwan |
Nationaler Wettbewerb | |
Goldener Leopard und Kandidat für die European Film Awards |
O RIO DE JANEIRO CONTINUA LINDO (RIO REMAINS BEAUTIFUL) von Felipe Casanova, Belgien/Brasilien/Schweiz |
Silberner Leopard |
TUSEN TONER von Francesco Poloni, Schweiz |
Preis für das beste Schweizer Nachwuchstalent |
L’AVANT-POSTE 21 von Camille Surdez, Schweiz |
Piazza Grande | |
Publikumspreis |
ROSEMEAD von Eric Lin, USA |
PARDO VERDE | |
Pardo Verde WWF |
MARE'S NEST von Ben Rivers, Grossbritannien/Frankreich/Kanada |
Lobende Erwähnung |
TÓC, GIẤY VÀ NƯỚC… (HAIR, PAPER, WATER…) von Nicolas Graux und Trương Minh Quý, Belgien/Frankreich/Vietnam |
Ex-aequo |
UNE FENÊTRE PLEIN SUD (A SOUTH FACING WINDOW) von Lkhagvadulam Purev-Ochir, Frankreich/Mongolei |
UNABHÄNGIGE JURIES | |
Preis der Ökumenischen Jury |
SOLOMAMMA von Janicke Askevold, Norwegen/Lettland/Litauen/Dänemark/Finnland |
Besondere Erwähnung |
LE LAC von Fabrice Aragno, Schweiz |
FIPRESCI-Preis |
DRY LEAF von Alexandre Koberidze, Deutschland/Georgien |