Sentimental Value

NO 2024, OV/df, 133', Regie: Regie: Joachim Trier, mit Renate Reinsve, Inga Ibsdotter Lilleaas, Stellan Skarsgård
Sentimental Value

Filmkritik von Walter Gasperi

Ein egozentrischer Regisseur, dem die Karriere immer wichtiger war als die Familie, und seine zwei gegensätzlichen Töchter: Joachim Trier erzählt in seinem in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten sechsten Spielfilm feinfühlig und vielschichtig ein klassisches Familiendrama um Kunst und Leben, um Entfremdung und Sehnsucht nach Versöhnung.

Nach einem Schwenk über Oslo gleitet die Kamera von Kasper Tuxen durch ein wohl im späten 19. Jahrhundert im sogenannten Drachenstil am Stadtrand erbautes geräumiges, zweistöckiges Holzhaus. Eine Off-Erzählerin informiert, dass die zwölfjährige Nora in einem Schulaufsatz aus der Perspektive dieses Hauses auf die Bewohner:innen und ihre Geschichte blickte und, unterstützt von Schwarzweißmaterial, spannt Joachim Trier den Bogen vom Tod der Urgroßmutter, bis zu den heftigen Auseinandersetzungen von Noras Eltern, die mit dem Auszug des Vaters endeten.

Seine ganze Meisterschaft zeigt der 51-jährige Norweger, der zuletzt mit "Der schlimmste Mensch der Welt" begeisterte, schon in dieser Eröffnungsszene, wenn er die Zuschauer:innen mit gleitender Kamera und rundem Schnitt sowie Off-Erzählerin in seinen Film hineinzieht. Zärtlich ist sein Blick und voll Liebe zu den Menschen, aber nie sentimental.

Zu einem Hauptdarsteller des Films wird dieses Haus, in dem die inzwischen erwachsenen Töchter Nora und Agnes ihren Vater Gustav, der ein berühmter Filmregisseur ist, nach Jahren der Abwesenheit anlässlich der Trauerfeier für ihre verstorbene Mutter wiedersehen.

Der Vater will mit Nora, die eine erfolgreiche, aber psychisch labile Theaterschauspielerin ist, einen letzten großen, autobiographisch beeinflussten Film drehen, in dem das Haus der Familie ein zentraler Schauplatz sein soll. Doch Nora, die dem Vater nie verziehen hat, dass er die Familie verlassen hat, lehnt ab. Einen Ersatz findet er in dem Hollywood-Star Rachel Kemp, doch dieser kommen sukzessive Zweifel, ob sie wirklich die richtige Besetzung für diese Rolle ist…

Meisterhaft lotet Trier die schwierigen familiären Beziehungen aus und macht in einer zentralen Großaufnahme, in der die Gesichter von Nora, ihrer jüngeren Schwester Agnes und dem Vater ineinander übergehen, deutlich, dass sie untrennbar miteinander verbunden sind. So sehr Nora, deren Name unübersehbar auf Henrik Ibsen verweist, sich von ihrem Vater distanziert, so sehr scheint sie doch mit ihrer Fokussierung auf ihrer Karriere ihm ähnlich zu sein.

Weil sie unfähig zu echter Nähe ist, zerbricht auch ihre Beziehung zum Bühnenarbeiter Johan, während ihre Schwester Agnes mit Mann Even und Sohn Erik eine glückliche Familie bildet. Bewegend schildert Trier nicht nur die innige Beziehung der beiden Schwestern, sondern stellt mit ihnen auch unterschiedliche Lebenskonzepte vor.

Der Vater wird dagegen als Egozentriker gezeichnet, der nicht nur seine Karriere immer über die Familie stellte, sondern der seine Familie auch für seine Filme instrumentalisiert und ausbeutet. Denn er besetzte nicht nur Agnes als Kind in einem seiner frühen Filme, sondern hat nun auch in seinem neuen Film eine Rolle für seinen Enkel entdeckt. Nie hat er sich offensichtlich auch um seinen früheren Kameramann gekümmert, mit dem er nun wieder zusammenarbeiten will, bis er überrascht feststellen muss, dass dieser nach einem Schlaganfall gehbehindert ist.
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Kritiken 

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- Simon Eberhard für outnow.ch - Michael Meyns für filmstarts.de
- David Steinitz für tagesanzeiger.ch - Mia Pflüger für kino-zeit.de
- Michael Sennhauser in sennhausersfilmblog.ch - Dunja Bialas für blickpunktfilm.de
  - Peter Debruge für variety.com
  - Tim Grierson für screendaily.com
  - Peter Bradshaw für theguardian.com
  - Brian Tallerico für rogerebert.com
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