Vorschau auf die 66. Berlinale. Von Walter Gasperi
Mit dem neuen Coen-Film „Hail Caesar!“ wird die 66. Berlinale (11. – 20.2. 2016) sehr attraktiv eröffnet, doch im Wettbewerb dominiert vom Philippino Lav Diaz bis zum Iraner Mani Haghagi der ästhetisch avancierte Autorenfilm. Überraschend schwach vertreten im Rennen um den Goldenen Bären ist das Gastgeberland Deutschland.
Ins Hollywood der 1950er Jahre entführen die Coen-Brüder in ihrer neuen Komödie „Hail Caesar!“, die die Berlinale eröffnen und schon eine Woche später in den Kinos anlaufen wird. Stars wie Berlinale-Stammgast George Clooney werden zu diesem Anlass an der Spree erwartet, doch auch davon abgesehen wird während der zehn Tage der Auflauf an Prominenz auf dem und von Schaulustigen um den roten Teppich vor dem Berlinale-Palast am Potsdamer Platz gross sein.
Schwache US-Präsenz im Wettbewerb
Ebenso ausser Konkurrenz läuft aber der Coen-Film wie „Chi-raq“, in dem Spike Lees die antike Komödie „Lysistrata“ ins Amerika der Gegenwart verlegt, oder Lee Tamahoris unter Maoris spielendes Familiendrama „Mahana – The Patriarch“. Im Bären-Rennen, dessen Jury heuer Meryl Streep leitet, sind die USA nur mit Jeff Nichols´ „Midnight Special“ präsent.
Dass der neue Film des seit seinem Debüt „Shotgun Stories“ und dem Folgefilm „Take Shelter“ hoch gehandelten Regisseurs in Berlin läuft, darf man als Überraschung ansehen, wurden doch seine letzten beiden Filme nach Cannes eingeladen. Skepsis ist angebracht, wenn nun dieser Film, dessen Fertigstellung sich zudem lange verzögerte, bei der Berlinale seine Uraufführung erlebt, gern lässt man sich freilich positiv überraschen.
Nur ein deutscher Film im Bärenrennen
Während Deutschland in den letzten Jahren – um nicht zu sagen Jahrzehnten – (fast) immer mit zwei bis drei Filmen - und dabei vielfach auch mit renommierten Regisseuren wie Christian Petzold oder Dominik Graf im Wettbewerb vertreten war, wurde heuer von Festivalleiter Dieter Kosslick und seinem Team nur „24 Wochen“ von Anne Zohra Berrached ausgewählt. Dass das Gastgeberland daneben noch als Koproduzent mehrerer weiterer Filme in den Wettbewerb involviert ist, steht auf einem anderen Blatt.
Europäisches Autorenkino
Mit prominenteren Namen ist dagegen der europäische Autorenfilm vertreten. Während der Franzose André Techiné in „Quand on a 17 ans“ mit dem Lausanner Kevin Kacey Mottet in der Hauptrolle eine Coming-of-Age Geschichte erzählt, hat der Däne Thomas Vinterberg mit „Kollektivet – The Commune“ sein von autobiographischen Erfahrungen beeinflusstes Theaterstück über das Leben in einer Kopenhagener Kommune in den 1970er Jahren für die Leinwand adaptiert.
Gespannt sein darf man auch auf den neuen Film der Französin Mia Hansen-Løve („L´avenir“) und „United States of Love“ des Polen Tomasz Wasilewski, der mit „Floating Skyscrapers“ schon einen Erfolg bei der Kritik landete.
Brandaktuelle Dokumentarfilme
Am Puls der Zeit sind die beiden Dokumentarfilme, die im Wettbewerb laufen. So erkundet der Italiener Gianfranco Rosi in „Fire at Sea“ die Situation auf der Flüchtlingsinsel Lampedusa, während sich der Amerikaner Alex Gibney in „Zero Days“ mit der Überwachung durch das Internet auseinandersetzt.
Einen dokumentarischen Blick auf die Welt – im Speziellen auf seine Heimat Bosnien - darf man sich auch von Oscar-Preisträger Danis Tanovic erwarten, der seinem an der Berlinale preisgekrönten „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ „Death in Sarajewo" folgen lässt.
Eigenwillige Filmkünstler
Vom Papier her zu den Bärenfavoriten zu zählen ist sicher der für seine überlangen Filme bekannte Philippino Lav Diaz, der in „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“ dem Vernehmen nach wieder die Geschichte seines Heimatlandes erkundet. Für eigenwillige Filmkunst, die das Publikum spaltet, ist aber auch der Kanadier Denis Côte bekannt, der nach „Vic+Flo ont vu un ours“ nun mit „Boris sans Béatrice“ zum zweiten Mal in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde.
Fast schon gewohnt stark ist der Iran vertreten, der in den letzten Jahren mit „Nader und Simin – Eine Trennung“ und „Taxi Teheran“ zweimal den Sieger stellte. Mani Haghagi präsentiert nach „Modest Reception“ „A Dragon Arrives“, während Berlinale-Stammgast Rafi Pitts „Soy Nero“, in dessen Mittelpunkt ein Mexikaner steht, der illegal in die USA einreist, ins Bärenrennen schickt.
Berlinale Special, Panorama und Forum
Auffallend ist, dass die neuen Filme so renommierter Regisseure wie des Briten Terence Davies, der in „A Quiet Passion“ von der im 19. Jahrhundert lebenden amerikanischen Schriftstellerin Emily Dickinson erzählt, sowie des Japaners Kiyoshi Kurosawa („Creepy“) nicht im Wettbewerb, sondern im „Berlinale Special“ laufen.
Von den Namen her verspricht auch die Sektion „Panorama“ einiges, laufen hier doch neue Filme unter anderem des Österreichers Händl Klaus („Kater“), des Argentiniers Daniel Burman („El rey del once – The Tenth Man«), der Deutschen Doris Dörrie („Grüße aus Fukushima“) und des Amerikaners Ira Sachs („Little Man“).
Ein monumentales Werk präsentiert das „Internationale Forum des Jungen Films“ mit Ulrike Ottingers zwölfstündigem „Chamissos Schatten“, für das die Regisseurin mit ethnographischem und künstlerischem Interesse den Spuren früherer Weltreisender wie James Cook oder Adalbert Chamisso folgte.
Einen geographischen Schwerpunkt widmet diese Programmschiene dem Filmschaffen des arabischen Raums, aber auch neue Filme der Dokumentarfilmer Volker Koepp („Landstück“) und Nikolaus Geyrhalter („Homo Sapiens“) sowie des Ungarn Bence Fliegauf („Lily Lane“) feiern in diesem Rahmen ihre Uraufführung.
Film- und Zeitgeschichte
Wie jedes Jahr wird aber auch heuer bei der Berlinale die Filmgeschichte gepflegt. So wird nicht nur eine digital restaurierte Fassung von Fritz Langs Stummfilmklassiker „Der müde Tod“ präsentiert, sondern in der Retrospektive „Deutschland 1966 – Filmische Perspektiven in Ost und West" wird auch mit einem Überblick ausgewählter, 1966 gedrehter Filme aus der BRD und der DDR ein Einblick in die damaligen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und die Zeitstimmung geboten.
(Walter Gasperi)
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