Völkerverständigung, ein gottverlassenes Dorf und Ferienstimmung – Bericht über das Filmfestival Fribourg 2012 von Geri Krebs
Mit Preisverleihung und Projektion des - mexikanischen - Abschlussfilms „Miss Bala“, einem bissigen Drama um Drogenkrieg und Schönheitskult, ging am Samstag die 26. Ausgabe des Festival international de films de Fribourg (Fiff) zu Ende. Der Hauptpreis ging an den israelischen Film „Never Too Late“.
Der erste Jahrgang unter dem neuen Direktor Thierry Jobin lockte trotz Prachtwetter über 30 000 Zuschauer in die Kinosäle, fast gleich viele wie in den letzten Jahren.
Gewinner des mit 30 000 Franken dotierten Hauptpreises „Regard d'or“ war überraschenderweise ein Film aus Israel, „Never Too Late“ von Ido Fluk. Der Erstling des 1980 in Israel geborenen, heute in New York lebenden Regisseurs ist ein Roadmovie um einen jungen Mann, der aus den USA nach Israel zurückkehrt und hier auf der Suche nach seinem verstorbenen Vater orientierungslos durch ein tristes Land reist. Man kann den Preis für diesen Low-Budget-Film, finanziert durch „Crowdfunding“, sowohl als Ermunterung wie auch als politisches Zeichen sehen. Es war ein bewegender Moment, als Ido Fluk auf der Bühne des Kinos Rex den Preis entgegennahm. Überreicht wurde er nämlich von Jurymitglied Sepideh Farsi, Filmregisseurin aus dem Iran. Sein Film sei alles andere als politisch, sagte Ido Fluk in seiner kurzen Dankesrede. Er zeige die Realität eines anderen Israel. Ein grosser Teil der Bevölkerung sei wie er: Man wünsche sich den Rückzug aus den besetzten Gebieten und wolle Frieden.
Preise für Brasilien und Ägypten
Auch den mit 19000 Franken dotierten „Talent Tape Award“ erhielt ein vordergründig „unpolitischer“ Erstlingsfilm, die poetische Dokufiktion „Historias que só existem quando lembradas“ der Brasilianerin Julia Murat. Der Film, dessen langer Titel „Geschichten die es nur gibt, wenn sie erinnert werden“ bedeutet, spielt in einem gottverlassenen Dorf irgendwo zwischen São Paolo und Rio und erzählt von den kleinen Veränderungen, die durch das Erscheinen einer jungen Fotografin in diesem nur noch von einer Handvoll alter Menschen bewohnten Mikrokosmos ausgelöst werden. Neben der internationalen Jury waren es schliesslich noch drei weitere Jurys, die diesen wunderschön fotografierten Film mit seinem beachtenswerten Mut zu Langsamkeit und erzählerischem Minimalismus auszeichneten. Den Publikumspreis erhielt unter den Wettbewerbsfilmen schliesslich ein ganz anders gelagerter Film: Das Sozialdrama „Asmaa“ von Amr Salama, einem jungen Regisseur aus Ägypten, der in Fribourg ausserdem auch an einem - ausserhalb des Wettbewerbs gezeigten - dokumentarischen Episodenfilm über die Ereignisse auf dem Tahrir-Platz („Tahrir 2011: The Good, the Bad and the Politician“) beteiligt war.
Vielseitiges Nebenprogramm
Insgesamt wurden in diesem Jahr alle zwölf Wettbewerbsfilme vom Publikum stark beachtet. Daneben waren es bei den Parallelsektionen vor allem die Western-Reihe („Spiel mir das Lied vom Süden“) sowie, noch verstärkt durch die aktuellen Ereignisse, die Reihe „Entschlüsselt“ (die sich mit dem „Bild des Islam im Okzident“ befasste), die besonders viele Zuschauerinnen und Zuschauer ansprachen. Restlos ausverkauft war schliesslich am Freitagnacht die Mitternachtsvorführung des Honkong-Action-und-Erotik-Films „Sex and Zen: Extreme Ecstasy 3D“, ein Blockbuster in seiner Heimat und in Fribourg ein Programmbeitrag, der sichtlich ein anderes und sehr junges Publikum ansprach als die meisten übrigen Filme. Fast ebenso erfolgreich, aber altersmässig am anderen Ende angesiedelt, war schliesslich eine andere einmalige Sondervorführung: Die Präsentation von „Cutter's Way“, einem vergessenen, 31 Jahre alten Hollywood -Kultfilm über einen körperlich und psychisch schwer versehrten Vietnam-Veteranen. Der mittlerweile 78jährige Regisseur Ivan Passer war in Fribourg persönlich anwesend, begleitet von Locarno-Direktor Olivier Père, der „Cutter's Way“ auf Einladung des Fiff ausgewählt hatte, und der eine gut besuchte öffentliche Masterclass mit Ivan Passer moderierte.
Frühsommerlich-mediterran angehauchtes Ambiente
Neu war in diesem Jahr neben der Programmierung von Filmen wie diesen natürlich auch das Wetterglück, das eine nie gesehene Stimmung an das ansonsten eher beschauliche Festival zauberte. Auf der Restaurantterrasse und dem angrenzenden Platz vor dem Festivalzentrum „Ancienne Gare“ herrschte an den Nachmittagen zwischen den Filmen ein geradezu frühsommerlich und mediterran angehauchtes Ambiente. Wenn sich hier jeweils Festivalgäste, Filmschaffende und Mitarbeiter des Festivals unter der strahlenden Märzsonne zu Apero und informellem Filmtalk versammelten, konnte man sich geradezu in den Ferien wähnen. Dass unter diesen Umständen die Leute trotzdem so zahlreich in die Kinos gingen wie in früheren Jahren zu spätwinterlichen Bedingungen, das spricht für die attraktive Programmgestaltung des neuen Festivaldirektors Thierry Jobin.
|