Tomás Gutiérrez Alea - Ein Kämpfer gegen kubanische Dämonen. Von Geri Krebs

Vor gut fünfzig Jahren, im März 1959, wurde in Havanna das Instituto Cubano del Arte y Industria Cinematograficos (ICAIC) gegründet. Zu diesem Jubiläum zeigte das Internationale Lateinamerikanische Filmfestival, das in Kubas Hauptstadt jeweils im Dezember stattfindet (s.a. Text auf 451.ch), vor Monatsfrist in einer seiner zahlreichen Nebensektionen auch eine Reihe „ICAIC 50 años, selección de la critica“. Das waren einige ausgewählte kubanische Filme, die von der einheimischen Filmkritikerelite als Favoriten auserkoren worden waren. Von den zehn dort präsentierten Filmen waren nicht weniger als vier von Tomás Gutiérrez Alea. Dass „Titón“ – wie Alea mit seinem Spitznamen meist genannt wird - weiterhin der Übervater des kubanischen Kinos und auch fast anderthalb Jahrzehnte nach seinem Tod im Land selber immer noch gegenwärtig ist, veranschaulicht diese Kritikerwahl wohl recht gut – auch wenn Kritiker nicht immer recht haben. Ausserhalb Kubas sieht es allerdings etwas anders aus. Mirtha Ibarra, die Witwe Aleas und als Schauspielerin seit 1983 Hauptdarstellerin in all seinen Filmen, hat 2007 in Spanien einen abendfüllenden Dokumentarfilm über ihren Mann realisiert („Titón de La Habana a la Guantanamera“). Lächelnd erzählt sie darin an einer Stelle, wie sie während der langen Monate im Schneideraum immer wieder Besuch von Kolleginnen und Kollegen ihrer beiden jungen Cutterinnen bekommen und dabei oft die Frage gehört habe, wer denn dieser gut aussehende Mann sei, und aus welchen Filmen denn die verrückten Szenen stammten, an denen sie gerade arbeitete. Da erst sei ihr bewusst geworden, wie dringend nötig dieser Dokumentarfilm nicht nur für sie, sondern noch mehr für ein junges Publikum sei, um einen der bedeutendsten Cineasten aus einem Land des Südens und sein Werk vor dem drohenden Vergessen zu bewahren. Das Kinok in St.Gallen und das Kino Kunstmuseum in Bern besorgen diese Arbeit nun auch.

Tomas Gutiérrez Alea, wurde 1928 in Havanna geboren und starb dort am 16. April 1996. Von 1951 bis 1953 besuchte der studierte Jurist in Rom am Centro Sperimentale di Cinematografia Filmkurse und bildete sich zum Regisseur aus. Bald nach der Rückkehr nach Kuba realisierte Titón zusammen mit seinem Mitstudenten Julia García Espinosa „El Mégano“, einen kurzen Dokumentarfilm über das Elend der Köhlerfamilien in den Zapatasümpfen, südwestlich von Havanna. Der Batista-Diktatur war der Film nicht geheuer, er wurde 1955 sofort verboten. Heute gilt „El Mégano“ als erster Film des kubanischen Revolutionskinos. 1959, nach dem Sieg der Revolution gehörte Alea dann zu den Mitbegründern des Kubanischen Filminstituts ICAIC, und mit „Historias de la Revolución“ drehte er 1960 den ersten Spielfilm des revolutionären Kuba, ein dreiteiliger Episodenfilm, inspiriert vom italienischen Neorealismus und insbsondere von Roberto Rossellinis „Paisà“.

In seinen darauf folgenden Filmen entfernte sich Alea dann sowohl vom Neorealismus wie von der reinen Revolutionsapologie. Eindrücklich zeigt sich das in seinen beiden Werken, mit denen er Filmgeschichte schrieb: „La muerte de un burócrata“ (1966) und „Memorias del subdesarrollo“ (1968). Während ersterer als Mutter aller kubanischen Filmkomödien mit seinem schwarzen Humor die typisch kubanische Eigenschaft des Nichts-Ernst-Nehmens zu meisterhafter Vollendung führt, zeigt letzterer in der Zerrissenheit seiner Hauptfigur eine dialektische Virtuosität, die den Film zu einem Meilenstein des Weltkinos macht. Beide Filme trugen entscheidend zum Ruf Aleas als kritischer Revolutionär bei - ein Ruf, der ihm ermöglichte, 1993, mit „Fresa y chocolate“ als erster ein so tabuisiertes Thema wie jenes der Homophobie aufgreifen zu können.

Einer der in dieser Reihe fehlenden, da kaum erhältlichen, Filme heisst „Eine kubanische Schlacht gegen die Dämonen“. Es ist eines der unbekannteren Werke Titóns, und sicher der sperrigste Film in seinem ganzen Oeuvre. Er spielt im 17. Jahrhundert und erzählt von einem Küstenstädtchen in der Provinz, in dem ein Priester die Bewohner zur Übersiedelung ins Landesinnere bewegen will, weil sie angeblich von Piraten bedroht seien. In Wirklichkeit aber geht es ihm und den Behörden darum, Schmuggel und das Aufkommen neuer, ketzerischer Ideen zu stoppen. Als die Bewohner skeptisch sind, behauptet er, der Ort sei von Dämonen besessen. Ein Schmuggler entlarvt den Schwindel, daraufhin brennt das Städtchen nieder. Titón realisierte den 130minütigen Film 1971, zu einer Zeit, als Kubas Kulturpolitik in das so genannte „graue Jahrfünft“ eintrat, und es ratsam schien, eine vielfältig interpretierbare Story in einem historischen Stoff zu verpacken.

Beim Tod von Alea im April 1996 schrieb Jesús Díaz, - der 2002 verstorbene grosse Schriftsteller und Dokumentarfilmer, der in den 1980ern mit Titón am ICAIC zusammen gearbeitet hatte - von seinem Madrider Exil aus: „Titóns Werk ist eine Hymne an die Toleranz, an den klaren Blick, an die Liebe und an den Humor, eine Waffe gegen den Machismo, den Rassismus, den Fremdenhass und das Autokratentum. Tomás Gutiérrez Alea steht auch für unsere Zukunft (…) und er wird uns immer danach fragen, wie wir das Ende der kubanischen Schlacht gegen die Dämonen vorweg nehmen können“.
(Geri Krebs)

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