Schlussbericht vom Fiff 2016. Frauen zwischen Grabsteinen und Ferienresort
Die 30. Ausgabe des Festival international de films de Fribourg (Fiff), die am Samstag nach acht intensiven Tagen zu Ende ging, stand ganz im Zeichen von Frauen.
Im vergangenen Februar, nur wenige Wochen vor Beginn des Festivals, habe er plötzlich zu zweifeln begonnen, ob er mit dem Entscheid, das diesjährige Fiff so "einseitig" auszurichten, auch tatsächlich genug Interesse beim Publikum wecken könne. Die Sorge von Festivaldirektor Thierry Jobin erwies sich als unbegründet. Trotz der Tatsache, dass Frauen etwa in Hollywood oder Cannes krass untervertreten sind und damit ja beim Publikum der Eindruck entstehen könnte, es gebe gar nicht so viele sehenswerte Filme von Frauen, schloss das Fiff 2016 mit einem Glanzresultat. Mit über 40 000 Eintritten lag die Zahl sogar etwas höher als in den Vorjahren.
Passend zu diesem "Jahr der Frauen" gingen die Hauptpreise des Festivals, der mit 30 000 Franken dotierte "Regard d'or" und der mit 10 000 Franken dotierte "Prix spécial du Jury", an zwei von weiblicher Hand realisierte Spielfilme: "Mountain" von Yaëlle Kayam und an "Semana Santa" von Alejandra Márquez Abella. Während in letzterem die junge Mexikanerin Abella in komödiantischem Tonfall von den Irrungen und Wirrungen einer jungen Witwe und ihrem kleinen Sohn in einem All-Inclusive-Strandhotel an der mexikanischen Pazifikküste erzählt, greift die 36 jährige Israelin Kayam in "Mountain" ein Sujet auf, das auch in manch anderen starken Filmen unterschiedlichster Herkunft am diesjährigen Fiff präsent war: das Aufbegehren von Frauen, die unter den rigiden Normen patriarchal bestimmter Religionen leben. In "Mountain" ist die Hauptfigur eine orthodoxe Jüdin, die mit Mann und vier Kindern am Jerusalemer Ölberg in einem Haus lebt, das an einen jüdischen Friedhof angrenzt. Während ihr Mann, ein Religionsgelehrter, das Interesse an ihr verloren zu haben scheint, freundet sie sich vorsichtig mit einem jungen Palästinenser an, der tagsüber auf dem Friedhof arbeitet - und nachts beobachtet sie mit voyeuristischer Erregung das Treiben von Prostituierten und ihren Freiern, das sich auf den Grabsteinen abspielt. Die vierköpfige, nur aus Frauen bestehende Jury begründete ihren Entscheid, "Mountain" mit dem Hauptpreis auszuzeichnen, mit der "Einzigartigkeit des Settings und der Sorgfalt mit der die Filmemacherin diese intime Geschichte erzählt, und uns damit die Komplexität der Welt und der menschlichen Seele enthüllt."
Inhaltlich noch kühner als dieses Werk präsentierte sich im Wettbewerb ein Film, der in Fribourg Weltpremiere hatte und der mit dem Preis der "Jury des jeunes" ausgezeichnet wurde: "Hair" von Mahmoud Ghaffari. Mit ätzendem Spott erzählt der iranische Regisseur in dieser Tragikomödie von drei taubstummen Karatekämpferinnen. Die drei - von real gehörlosen Laiendastellerinnen grossartig verkörperten - Sportlerinnen sind an ein internationales Tournier im Ausland eingeladen, dürfen aber schliesslich wegen Bestimmungen über die Art des an diesem Anlass zu tragenden Kopftuches nicht ausreisen. Noch nie hat ein iranischer Film so offen wie hier den Wahn des autoritären Regimes angeprangert, seine weiblichen Untertanen mit absurden Kleidervorschriften zu drangsalieren.
Um Kleidervorschriften für Frauen in einem islamischen Land ging es schliesslich auch in einer grossartigen Fake-Documentary, die in einer der zahlreichen Parallelsektionen, jener mit dem Titel "Das Dasein der Filmemacherin in Afrika", lief: "Le challat de Tunis" der Tunesierin Kaouther Ben Hania. Die unerschrockene junge Regisseurin macht sich, wild zwischen Dokumentation und Fiktion wechselnd, auf Spurensuche nach einem Mann, der vor zehn Jahren unter Frauen der tunesischen Hauptstadt als "Schlitzer von Tunis" Angst und Schrecken verbreitet hatte. Dies, indem er "unzüchtig" gekleidete Frauen von einem Motorrad aus mit einem Messer angriff. Im Gegensatz zu den zuvor erwähnten, preisgekrönten Filmen hat "Le challat de Tunis" einen Verleih und wird noch dieses Jahr in den Schweizer Kinos laufen. Gleiches gilt auch für den mexikanischen Spielfilm "Yo" des aus Frankreich gebürtigen Regisseurs Matías Meyer, eine von der Hauptjury mit einer "Mention" ausgezeichnete, bizarre Tragikomödie um das sexuelle Erwachen eines geistig retardierten 30 jährigen Mannes in einem mexikanischen Dorf. Dieser Film, der bereits an zahlreichen anderen Festivals zu sehen war, wurde wesentlich mit Schweizer Hilfe realisiert. Die Schweiz war schliesslich auch mit einem Film vertreten, der medial und auch beim Publikum zu einem der meist beachteten des ganzen Festivals wurde: "Born in Battle" von Yangzom Brauen. Der Kurzfilm der - in Bern und in den USA lebenden - gebürtigen Tibeterin behandelt eindringlich das Drama ehemaliger afrikanischer Kindersoldaten und wurde am Fiff mit dem durch die UNESCO vergebenen «Enrico Fulchignoni Award» ausgezeichnet. Er sei sich zuvor gar nicht bewusst gewesen, dass Yangzom Brauen in der Deutschschweiz eine so bekannte Persönlichkeit sei, erklärte Thierry Jobin denn auch am Rande des Festivals und betonte, dass man sie in der Romandie kaum kenne - und er hoffe, dass mit solchen Begegnungen die Bedeutung des Fiff auch als einer Brücke zwischen Romandie und Deutschschweiz weiterhin zunehme.
(Geri Krebs)
|