Schlussbericht über die 60. Berlinale. Von Walter Gasperi
Frostig war es über 10 Tage in der deutschen Hauptstadt, aber auch im Kino wollte einem bei der Jubiläums-Berlinale nicht richtig warm werden. Der Wettbewerb schleppte sich mehr oder weniger dahin, Sehenswertes gab es durchaus zu entdecken, auf ein Meisterwerk, das einen vom Stuhl riss, wartete man aber vergebens.
Unübersehbar fehlten der heurigen Berlinale wie schon den letzten Ausgaben die wirklich großen Kinofilme. Mit Polanski, Scorsese und der restaurierten Fassung von Fritz Langs „Metropolis“ wurden am Beginn drei Filme vorgelegt, die süffiges Kino boten – dann folgte aber fast nur noch mehr oder weniger sperrige Arthouse-Filme.
Jede Einstellung ist in dem mit dem Goldenen Bären ausgezeichneten „Bal – Honey“ von Semih Kaplanoglu meisterhaft komponiert und perfekt ausgeleuchtet. Keinen Bruch gibt es in diesem Film über den sechsjährigen türkischen Jungen Yussuf, der in der abgeschiedenen Bergwelt im Hinterland der Schwarzmeerküste lebt. Nur zu seinem Vater, der als Bienenzüchter durch die Wälder streift, hat Yusuf eine wirkliche Beziehung, mit ihm kann er reden, während er in der Schule beim Lesen stottert und ein Aussenseiter bleibt. Ein Aussenseiter bleibt bei diesem leisen, auf jede Musik verzichtenden und sehr langsamen Drama, mit dem Kaplanoglu seine mit „Ei“ (2006) und „Milch“ (2008) begonnene so genannte „Yussuf“-Trilogie abschliesst, aber auch der Zuschauer, der zwar die Schönheit der Bilder geniessen kann, aber kaum näher an den Jungen herankommt.
Erratischer als „Bal – Honey“ ist Alexej Popogrebskis „How I Ended this Summer“. Zwei Männer auf einer Insel im Arktischen Meer, die per Funk Aufzeichnungen einer Wetterstation übermitteln müssen, sind in diesem russischen Wettbewerbsbeitrag die einzigen Personen, dafür gibt es jede Menge Landschaft. In der Isolation, umgeben von endloser karger Tundra und rauem Meer, entwickeln sich Spannungen zwischen dem erfahrenen Meteorologen und dem jungen Hochschulabsolventen, die sich steigern, als der junge Praktikant seinem Kollegen eine wichtige Information vorenthält.
Auf einsame Männer, oft frisch aus der Haft entlassen, stiess man bei dieser Berlinale immer wieder. Der Bogen spannt sich von Hans Peter Molands „A Somewhat Gentle Man“, in dem der Norweger mit lakonischem Humor à la Kaurismäki von einem Ex-Häftling erzählt, der der Rache abschwört, bis zum iranischen Beitrag „Zeit des Zorns“. Und von Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“ bis zum rumänischen „If I Want to Whistle, I Whistle“.
Heisenberg erzählt nach einem realen Fall der österreichischen Kriminalgeschichte der 1980er Jahre von einem erfolgreichen Marathonläufer, der Banken ausraubt. Durch seine Schnelligkeit entkommt er der Polizei nicht nur bei den Überfällen, sondern auch nach seiner Verhaftung aus der Polizeistube. Durch den Verzicht auf jede Psychologisierung, einer Erklärung der Vorgeschichte oder der Motive, verlagert sich der Schwerpunkt des Films auf die Taten und die physische Energie des Räubers wird direkt auf die filmische Form übertragen.
Ganz im Gefängnis spielt dagegen Florin Serbans „If I Want to Whistle, I Whistle“. Serban erzählt in seinem Debüt von einem 18-jährigen Häftling, der kurz vor seiner Entlassung steht. Als sein jüngerer Bruder ihm mitteilt, dass er mit der Mutter nach Italien übersiedeln werde, unternimmt Silviu alles um das zu verhindern und setzt sich über Gefängnisregeln immer massiver hinweg. Mit starken Darstellern und einer im Dogma-Stil hautnah dem Protagonisten folgenden Kamera entwickelt dieses Drama über weite Strecken grosse Dichte.
(Walter Gasperi)
Die wichtigsten Preise der Berlinale 2010
Goldener Bär für den Besten Film Bal (Honey) von Semih Kaplanoglu |
Goldene Ehrenbären Hanna Schygulla und Wolfgang Kohlhaase |
Silberner Bär - Großer Preis der Jury Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want To Whistle, I Whistle) von Florin Serban |
Silberner Bär - Beste Regie Roman Polanski für The Ghost Writer (The Ghost Writer) |
Silberner Bär - Beste Darstellerin Shinobu Terajima in Caterpillar (Caterpillar) von Koji Wakamatsu |
Silberner Bär - Bester Darsteller Grigori Dobrygin zusammen mit Sergei Puskepalis in Kak ya provel etim letom (How I Ended This Summer) von Alexei Popogrebsky |
Silberner Bär - Bestes Drehbuch Wang Quan'an und Na Jin für Tuan Yuan (Apart Together) von Wang Quan'an |
Silberner Bär - Herausragende Künstlerische Leistung in der Kategorie Kamera Pavel Kostomarov für die Kamera in Kak ya provel etim letom (How I Ended This Summer) von Alexei Popogrebsky |
Preis Bester Erstlingsfilm Sebbe von Babak Najafi |
Alfred-Bauer-Preis Eu cand vreau sa fluier, fluier (If I Want To Whistle, I Whistle) von Florin Serban |
Berlinale Shorts | |
Goldener Bär Händelse Vid Bank von Ruben Östlund (Schweden) |
Silberner Bär Hayerida von Shai Miedzinski (Israel) |
Stipendium des DAAD Künstlerprogramms in Berlin Adrian Sitaru (Rumänien) für Colivia |
Nominierung für den europäischen Kurzfilmpreis Venus vs Me von Natalie Teirlinck (Belgien) |
Alle Preise der Berlinale 2010
www.berlinale.de/de/das_festival/preise_und_juries/uebersicht_auszeichnungen/index.html
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