Schlussbericht über das 24. Internationale Filmfestival Fribourg. Von Geri Krebs
Im dritten Jahr unter der künstlerischen Leitung des französischen Filmkritikers Edouard Waintrop und im ersten unter der administrativen Leitung der St.Gallerin Esther Widmer zeigte sich mit grosser Deutlichkeit, wie sehr sich der einst als „Dritte-Welt-Filmfestival“ gegründete Anlass gewandelt hat.
Beim 24. Filmfestival von Fribourg waren es nicht nur die zahlreichen Panoramareihen, unter ihnen etwa japanische Gangsterfilme („Friedhof der Yakuza“), europäisches Kino von den Rändern („Reykjavik – Sofia“) oder russisches Kino ein Vierteljahrhundert nach Beginn von Perestroika und Glasnost („Je me balade dans Moscou“), welche das Klischee eines Festivals mit einem Übermass an Filmen mit Geschichten aus ländlichen Gefilden in Entwicklungsländern Lügen straften. So war beispielsweise in der Japan-Reihe mit „Battle Royale“ von Altmeister Kinji Fukasaku ein so trashiges wie satirisches Werk über jugendliche Gewalttäter zu entdecken, bei dem nicht nur Stars wie Takeshi Kitano mitspielen, sondern das gleich auch noch einem Quentin Tarantino erklärtermassen als Inspiration zu „Kill Bill“ gedient hatte. Oder es gab in der umwerfenden Kriminalkomödie „Reykjavik-Rotterdam“ des Isländers Oskar Jónasson um einen missglückten Drogentransport so viel zu lachen wie sonst selten in einem Film des diesjährigen Festivals“.
Darüber hinaus waren aber gerade auch im Wettbewerb Highlights zu entdecken, die vom neuen Selbstbewusstsein eines Kinos kündeten, das leider kaum den Weg in den Verleih findet. Herausragend war hier etwa „La sangre y la lluvia“ des Kolumbianers Jorge Navas, ein gewalttätiger, aber gleichzeitig ungemein ruhiger Film Noir um einen jungen Taxifahrer, der in einer Regennacht in Bogotás Strassen sich in eine kokainsüchtige Gelegenheitsprostituierte verliebt. Der von quälend langen, ungemein sorgfältig komponierten und kadrierten Einstellungen – aus denen die Farbe weit gehend entfernt ist – bestimmte Film bestach durch grosse formale Geschlossenheit und ragte durch die schauspielerische Parforceleistung der jungen, unbekannten Schauspielerin Gloria Montoya (als drogenabhängige Femme Fatale) heraus.
Bei der Preisverleihung ging dieses Werk leider völlig leer aus, und man konnte sich hier des Eindruckes nicht erwehren, dass die diversen Jurys humanitäre Grundhaltung eines Films höher gewichteten als rein filmische Qualitäten. Deutlich zeigte sich dies an den beiden mit den höchst dotierten Preisen ausgezeichneten Beiträgen, „The Other Bank“ des Georgiers George Ovashvili, und „Tehroun“ des (Exil-)Iraners Nader T. Hamayoun. Ist Ovashvilis Kriegsdrama um einen abchasischen Flüchtlingsjungen, der im kriegsverwüsteten Grenzgebiet zwischen Georgien und Abchasien seinen Vater sucht, immerhin ein kraftvolles Road Movie mit guter psychologischer Figurenzeichnung, so verheddert sich Nader T. Hamayoun in „Tehroun“ in einer thematisch ziemlich überladenen, von flüchtigen Bildern (gezwungenermassen musste ohne Dreherlaubnis gearbeitet werden) gekennzeichneten Geschichte um Menschenhandel, Babyraub und Überlebenskampf, die mehr gut gemeint als inszenatorisch gelungen ist. Doch trotz dieser Schwächen vermittelt „Tehroun“ in eindrücklicher Weise eine Welt, die weniger von nacktem Elend als viel mehr von einem Denken gekennzeichnet ist bei dem alles zur Ware geworden ist.
In noch krasserer Weise zeigte sich dies schliesslich in „Lola“ (Grossmutter) des Philippinen Brillante Mendoza, wo zwei Grossmütter aufeinander treffen, deren Schicksale in fataler Weise ineinander verstrickt sind: Die eine organisiert Geld für die Beerdigung ihres Enkels, der einem Raubmord zum Opfer fiel, während die andere das Geld für jene Kaution zusammenzubringen versucht, das nötig wäre, um ihren eben dieses Mordes angeklagten Enkel aus dem Gefängnis frei zu bekommen. „Was ist ein Menschenleben im 21. Jahrhundert wert?“ schreibt die Jury der internationalen Kinoclub-Föderation (FICC), die in Fribourg „Lola“ mit dem „Don-Quijote-Preis“ auszeichnete, in ihrer Begründung und gibt darauf die lapidare Antwort: „Geld in einem Umschlag, übergeben in einem Restaurant“. Auch der ebenfalls ausgezeichnete Erstling „Norteado“ des Mexikaners Rigoberto Perezcano, der mit grimmigem Humor von den Irrungen eines emigrationswilligen Mexikaners erzählt, der an der unüberwindlichen Grenze zu den USA strandet, vermittelt etwas von der Macht des Geldes, das alle Bereiche durchdrungen hat.
Ein Coup war Edourad Waintrop schliesslich gelungen, dass er sich vor einem halben Jahr in San Sebastián „El secreto de sus ojos“ des argentinischen Regisseurs Juan José Campanella („El hijo de la novia“) für Fribourg sicherte. Man konnte damals kaum ahnen, dass der Film dann mit Oscar-Weihen als „bester nicht-englischsprachiger Film“ geadelt werden würde, und dank dieses Rufs für einen bereits Wochen im Voraus ausverkauften Saal sorgen und einem gelungenen Festival einen krönenden Schlusspunkt setzen würde.
(Geri Krebs)
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