San Sebastián 2013 Schlussbericht: Preissegen für Spanien und für Exoten. Von Geri Krebs
Gleich drei der wichtigsten Preise gingen an zwei spanische Filme, doch die beiden Hauptpreise, “Concha de oro” (Goldene Muschel) und der “Premio Kutxa Nuevos Directores” (Bester Erstlings- oder Zweitlingsfilm) gingen an Filme aus Venezuela und Island.
Das Festival begann mit 3-D-Brillen und es endete mit 3-D-Brillen. Erstmals in seiner Geschichte war mit “Futbolin” ein Animationsfilm zur Eröffnung auf dem Programm des 1953 gegründeten Festivals gestanden. Und sowohl für diesen Spass des Argentiniers Juan José Campanella (“El secreto de sus ojos”) um einen Jungen, der in einer alten Bar arbeitet, wo die Figuren des Tischfussballkastens plötzlich lebendig werden, wie für den Abschlussfilm “The Young and Prodigious T.S. Spivet” brauchte man 3-D-Brillen. Die Weltpremiere dieses charmanten Werkes von “Amélie”- Regisseur Jean-Pierre Jeunet, in welchem es ebenfalls um einen Jungen, ein Erfindergenie, geht, der aus Montana nach Washington reist, begeisterte das Publikum ebenso wie die davor erfolgte Preisgala, bei der die Juryentscheide in einem Masse auf Zustimmung stiessen, wie noch selten an diesem Festival.
Dabei kann der Hauptpreis, jener an den venezolanischen Film “Pelo malo”, in zweifacher Hinsicht als sensationell bezeichnet werden. So wird mit Mariana Rondon erst zum zweiten Mal überhaupt in der Geschichte des Festivals eine Frau, die Regie führt, für ihren Film mit der “Concha de oro” ausgezeichnet (erstmals war es 2008 die Türkin Yesin Ustaoglu für “Pandora’s Box”). Und noch gar nie hat ein Film aus Venezuela den Hauptpreis dieses Festivals gewonnen, und es dürfte innerhalb der grossen europäischen Festivals der “A”-Kategorie wohl überhaupt eine Premiere sein, dass einem venezolanischen Film diese Ehre zuteil wird. Ähnlich verhält es sich mit dem Gewinner des Preises der “Nuevos Directores”, dem Film “Of Horses and Men” aus Island. Sein Regisseur, Benedikt Erlingsson, begann seinen kurzen Speach bei der Abschlussfeier mit “Eskerrik Asko Donostia” – was nicht isländisch, sondern baskisch ist und “Danke San Sebastián” heisst - und er wurde für diese Geste vom heimischen Publikum frenetisch beklatscht.
Dabei kann man den beiden Jurys, der Hauptjury unter dem Vorsitz von Todd Haynes und jener der “Nuevos Directores” unter dem Vorsitz der mexikanischen Drehbuchautorin Marina Stavenhagen, bei ihren Entscheiden nicht vorwerfen, Filme mit “Exotenbonus” ausgezeichnet zu haben. Denn sowohl “Pelo malo” wie “Of Horses and Man” sind zwei rundum gelungene Filme, universell verständlich, und doch mit Besonderheiten ihrer jeweiligen Herkunftsländer sich beschäftigend. Bei “Pelo malo” aus Venezuela, in dem es um eine alleinerziehende – weisse - Mutter und ihren achtjährigen – farbigen - Sohn geht, bei dem sie Angst hat, er könnte schwul werden, stehen Homophobie und latenter Rassismus im Zentrum.
Derweil geht es bei dem Film vom anderen Ende der Welt um die seltsame Liebe der Männer in dem kleinen nordischen Inselstaat zu ihren Pferden und die bizarren Blüten, die diese manchmal fast symbiotische Beziehung treibt. Während man Mariana Rondon ihre Herkunft aus der bildenden Kunst anmerkt, die sie in unaufdringlichen aber stilsicheren Einsprengseln einfügt in ihr linear erzählte Sozialdrama aus einer Plattenbausiedlung in Caracas, ist “Of Horses and Men” ein ganz anders gelagerter Film: Anekdotisch und ohne Anspruch auf eine abgerundete Erzählung ist Benedikt Erlingsson ein oft wild drauflosfabulierendes Werk gelungen. In aberwitzigen Szenen schreckt der Film vor kaum einer Verrücktheit zurück, bringt neben knorrigen Einheimischen solche Figuren wie einen einsamen kolumbianischen Touristen, die Teilnehmer einer deutschen Reisegruppe und die Besatzung eines alten sowjetischen Frachters, die Wodka nach Island schmuggeln, problemlos in den sturmgepeitschten Weiten des Landes unter, wo fast so viele Pferde wie Menschen leben.
Fast schon einer Tradition folgend, ging der Preis für die beste Hauptdarstellerin nun bereits zum fünften aufeinanderfolgenden Mal an eine spanische Schauspielerin, es war dieses Mal die junge, noch weit gehend unbekannte Marian Alvarez. Sie spielte in “La herida” (Die Verletzung), dem Erstling des 1976 geborenen Regisseurs Fernando Franco -der gleich auch noch den Spezialpreis der Jury gewann - eine Ambulanzfahrerin in Madrid, die, von ihrem Freund verlassen, seelisch abstürzt. Marina Alvarez verkörpert diese Figur, die zwischen Wahnsinn, Selbstverletzung, trotzigem Aufbegehren gegen alles und tiefster Resignation pendelt, mit einer ungeheuren Intensität. Und wenn es da und dort Momente von “Overacting” geben mag, so ist der Preis für diese schauspielerische Parforcetour doch durchaus gerechtfertigt. Der zweite ausgezeichnete spanische Film (“Silberne Muschel” für die beste Kamera), “Canibal”, hat diese Auszeichnung ebenso verdient. Der junge spanische Regisseur Manuel Martin Cuenca hat mit “Caníbal” , ein sehr langsames, aber äusserst kunstvolles Thriller- und Liebesdrama um eine Art spanischen Hanibal Lector in einem vollständig erstarrt wirkenden Granada geschaffen, das in seiner Kälte und formalen Strenge fasziniert. Diese beiden ausgezeichneten spanischen Filme laufen übrigens, ebenso wie der im Wettbewerb der “Horizontes Latinos” prämierte grossartige brasilianische Thriller “O lobo atrás da porta” (A Wolf at the door) von Fernando Coimbra Ende dieser Woche auch am Zurich Film Festival, mit dem das Festival von San Sebastian ja seit diesem Jahr eine Partnerschaft eingegangen ist.
Mit “Quai d’Orsay” von Altmeister Bertrand Tavernier, einer Politsatire um den jungen Redenschreiber eines eitlen fanzösischen Aussenministers wurde schliesslich ein Werk mit dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet, das es wie kein anderes an diesem Festival schaffte, die Lachmuskeln zu strapazieren. “Keine Tür des Quai d’Orsay ist misshandelt oder verletzt worden” heisst es am Ende der Credits und die Tonlage des Films ist damit charakterisiert. Drehbuchautor Antonin Baudry hat in diesem ungemein witzigen Film, in welchem Jane Birkin in einer Nebenrolle eine Literaturnobelpreisträgerin spielt, seine eigenen Erfahrungen verarbeitet, die er vor einigen Jahren im französischen Aussenministerium am Quai d’Orsay machte. Ganz auf leisen Humor setzte schliesslich der Mexikaner Fernando Eimbcke in seiner mit dem Regiepreis ausgezeichneten skurrilen Tragikomödie “Club Sandwich”. Wie bereits in seinen beiden vorherigen Filmen “Temporada de Patos” und “Lake Tahoe” entwickelt er auch hier wieder sein minimalistisches Universum um Adoleszenz, erwachende Sexualität und schwierige familiäre Konstellationen, dieses Mal um eine Mutter und ihren pubertierenden Sohn in einem Hotelzimmer.
(Geri Krebs)
|