Preise der 68. Berlinale. Von Walter Gasperi

Preise der 68. Berlinale. Von Walter Gasperi

Für die grösste Überraschung an der diesjährigen 68. Berlinale sorgte wohl die Internationale Jury unter dem Vorsitz von Tom Tykwer mit dem Goldenen Bären für "Touch Me Not". Regisseurin Adina Pintilie erforscht in ihrem semidokumentarischen Erstling die Spielarten und Grenzen menschlicher Sexualität. Bei der Presse kam der Film nicht gut an; beim Pressespiegel von Screendaily erhielt der Film unter den Wettbewerbsfilmen die drittschlechteste Bewertung. Auch beim Drehbuchpreis für "Museo" wird es noch Diskussionen geben, war für viele doch gerade das Drehbuch ein Schwachpunkt dieser Mischung aus Thriller und Roadmovie über einen unsympathischen Schwachkopf, der aus reiner Geltungssucht ein Museum ausraubt.

Der diesjährige Wettbewerb hatte durchaus einige Höhepunkte zu bieten. War der absolute Tiefpunkt schon früh erreicht bei der Westernkomödie "Damsel" mit Mia Wasikowski und Robert Pattinson, die wohl nur wegen dem "Staraufgebot" in den Wettbewerb kam, aber absolut nichts dort zu suchen hatte, konnte sich der mit dem Silbernen Bär für die Beste Regie ausgezeichnete "Isle of Dogs" von Wes Anderson sowohl die Kritiker als auch das Publikum begeistern. Auch der polnische Beitrag "Twarz" von Małgorzata Szumowska, mit dem Grossen Preis der Jury ausgezeichnet, überzeugt durch die liebevolle Inszenierung eines Metalrockers, der nach einem Unfall in der Baustelle der weltweit grössten Jesusstatue eine Gesichtstransplantation vornehmen lassen muss, was seine Braut dazu bewegt ihn zu verlassen. In seiner xenophoben, vorurteilsbehafteten, gleichzeitig aber auch tiefkatholischen ländlichen Umgebung muss er nun ein neues Leben beginnen.

Das sicher kontroverseste Werk setzt sich mit den Opfern der Anschläge in Norwegen vor sieben Jahren auseinander. In "Utøya 22. juli" inszeniert Erik Poppe - nach einer kurzen Einleitung der Attentate in Oslo mit teils Originalbildern - in einer einzigen Einstellung fiktiv die unendlich langen 72 Minuten, bis der rechtsextreme Terrorist Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya gestellt werden konnte, und folgt dabei seiner Hauptdarstellerin Kaja auf ihrer Flucht vor den tödlichen Schüssen. Der Film ist nichts für schwache Nerven, die Bilder brennen sich tief ein und wird man nicht wieder los. Dieser kaum auszuhaltende, voyeuristische, aber auch meisterhaft gemachte Film wirft zweifelsohne viele Fragen über die Notwendigkeit eines solchen Projekts auf. Hilft ein solcher Film bei der Bewältigung des Geschehenen? Was nützt es, sich der Panik und des Schmerzes der Opfer auszusetzen? Und werden sich nicht gerade in der rechtsextremen Szene Leute finden, die einen solchen Film abfeiern werden, auch wenn der Täter nur einmal ganz kurz und unscharf zu sehen ist?

Auch wenn die Internationale Jury Anthony Bajon in "La Prière" als Besten Hauptdarsteller auszeichnete, war der diesjährige Shooting-Star der Berlinale sicherlich Franz Rogowski, der gleich in zwei preisverdächtigen Wettbewerbsfilmen Hauptrollen spielte. Der von einer Kurzgeschichte von Clemens Meyer adaptierte Film "In den Gängen" (ökumenischer Preis, Gilde-Filmpreis) ist ein an Sprödheit kaum zu überbietender Liebesfilm, in der ein Ex-Häftling versucht ins Alltagsleben zurück zu kehren. In "Transit", auch ein adaptiertes Drehbuch der Romanvorlage von Anna Seghers aus dem Jahre 1942, werden die Flüchtenden des Dritten Reichs im heutigen Marseille angesiedelt. Ein interessantes Unterfangen, wird doch damit auf die heutigen unsicheren politischen Zeiten angespielt. Kritik wurde etwa laut, warum die heutigen Flüchtenden sich dann doch der technischen Hilfsmittel der damaligen Zeit bedienen müssen und warum die Aussenszenen in der heutigen Zeit spielen, die Innenszenen aber nicht.
(Walter Gasperi)

Die Internationale Jury unter dem Vorsitz von Tom Tykwer und mit der Schauspielerin Cécile de France (Belgien), dem Fotografen und ehemaligen Direktor der Filmoteca Española Chema Prado (Spanien), der Produzentin Adele Romanski (USA), dem Komponist Ryūichi Sakamoto (Japan) und der Filmkritikerin Stephanie Zacharek (USA) vergab folgende Preise:

PREISE DER OFFIZIELLEN JURYS  
GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN FILM Touch Me Not
von Adina Pintilie
SILBERNER BÄR GROSSER PREIS DER JURY Twarz
von Małgorzata Szumowska
SILBERNER BÄR ALFRED-BAUER-PREIS
für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet
Las Herederas
von Marcelo Martinessi
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE Wes Anderson
für Isle of Dogs
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN Ana Brun
in Las Herederas
von Marcelo Martinessi
SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN DARSTELLER Anthony Bajon
in La Prière
von Cédric Kahn
SILBENER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH Manuel Alcalá und Alonso Ruizpalacios
für Museo
von Alonso Ruizpalacios
SILBERNER BÄR FÜR EINE HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG aus den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design Elena Okopnaya
für Kostüm und Production Design in
Dovlatov von Alexey German Jr.
GLASHÜTTE ORIGINAL DOKUMENTARFILMPREIS Waldheims Walzer
von Ruth Beckermann
LOBENDE ERWÄHNUNG Ex Pajé
von Luiz Bolognesi
GWFF PREIS BESTER ERSTLINGSFILM Touch Me Not
von Adina Pintilie
   
INTERNATIONALE KURZFILMJURY: Diogo Costa Amarante (Portugal), Jyoti Mistry (Südafrika) und Mark Toscano (USA)
GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM The Men Behind the Wall
von Ines Moldavsky
SILBERNER BÄR PREIS DER JURY UND BERLIN SHORT FILM NOMINEE FOR THE EUROPEAN FILM AWARDS Imfura
von Samuel Ishimwe
AUDI KURZFILMPREIS Solar Walk
von Réka Bucsi
   
UNABHÄNGIGE JURIES  
   
PREISE DER ÖKUMENISCHEN JURY  
Wettbewerb In den Gängen
von Thomas Stuber
Lobende Erwähnung Utøya 22. juli
von Erik Poppe
Panorama Styx
von Wolfgang Fischer
Forum Teatro de guerra
von Lola Arias
   
PREISE DER FIPRESCI JURY  
Wettbewerb Las herederas
von Marcelo Martinessi
Panorama River’s Edge
von Isao Yukisada
Forum An Elephant Sitting Still
von Hu Bo
   
GILDE FILMPREIS In den Gängen
von Thomas Stuber
   
CICAE ART CINEMA AWARD  
Panorama Tinta Bruta
von Marcio Reolon und Filipe Matzembacher
Forum Teatro de guerra
von Lola Arias
   
LABEL EUROPA CINEMAS Styx
von Wolfgang Fischer
   
HEINER-CAROW-PREIS Styx
von Wolfgang Fischer
   
TEDDY AWARD  
Bester Spielfilm Tinta Bruta
von Marcio Reolon und Filipe Matzembacher
Bester Dokumentar-/Essayfilm Bixa Travesty
von Claudia Priscilla und Kiko Goifman
Bester Kurzfilm Three Centimetres
von Lara Zeidan
Special Jury Award Obscuro Barroco
von Evangelia Kranioti
Newcomer Award Retablo
von Álvaro Delgado-Aparicio L.
   

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