Geschichten vom Ende des Lebens - und der Zeit davor.

Bericht vom 58. Filmfestival von San Sebastián von Geri Krebs

Mit der Verleihung der Goldenen Muschel an Peter Mullans Jugenddrama „Neds“ sowie der anderen Preise ging am Samstag das 58. Filmfestival von San Sebastián zu Ende.

Dass man einen Film mache, der sich mit dem Abschied vom irdischen Dasein auseinandersetze, sei ein Modethema geworden. Dies schrieben baskische Zeitungen zur Halbzeit des Festivals über „Satte Farben vor Schwarz“, den Erstling der aus Zug stammenden, in Berlin lebenden Regisseurin Sophie Heldmann, der im Wettbewerb um den Hauptpreis, die „Goldene Muschel“, lief . Die Information des einheimischen Kollegen, der zweisprachig aufgewachsen ist und somit auch jene drei nur in baskisch erscheinenden Tageszeitungen zu lesen imstande ist, kann von dem nur des Spanischen mächtigen Berichterstatter nicht überprüft werden. Tatsache ist jedoch, dass das von der Zürcher Firma Dschoint Ventschr (ko-)produzierte Drama um den selbst bestimmten Tod eines gut situierten Paares bei der Preisverleihung leer ausging. Der so intensive wie lakonisch erzählte Film mit Bruno Ganz und Senta Berger in den Hauptrollen berührte, doch er war nur einer von mehreren Beiträgen, die das Thema von Altern, Krankheit und Abtreten von der Bühne des Lebens ins Zentrum rückten. Am sensibelsten erzählt, und gleichzeitig visuell grandios umgesetzt, konnte man das bei dem Wettbewerbsbeitrag des jungen Chinesen Liu Hao bewundern. Trotz eines unsäglichen englischen Titels, „Addicted to Love“, war dieser Film ein Glanzpunkt in einem Festival, dessen diesjährige Ausgabe mit dem Abschied seines langjährigen künstlerischen Leiters Mikel Olaciregui von verschiedentlich als eher schwach beurteilt wurde.

Die Endlichkeit des menschlichen Lebens

Doch eine solche Aussage liess sich mit einem Film wie „Addicted to Love“ durchaus relativieren. Die Geschichte eines alten, verwitweten Mannes, der in Peking seine - ebenfalls verwitwete – Jugendliebe wieder trifft, und mit dieser an Alzheimer leidenden Frau gegen alle Widerstände seines Umfeldes eine Beziehung zu leben versucht, ging nicht nur als heftige Liebesgeschichte ans Herz, sondern vermochte durch ihren meisterlichen Umgang mit Licht, Cadrage, Bildkomposition und Farben auch formal zu überzeugen. Von der internationalen Jury unter dem Vorsitz des serbischen Regisseurs Goran Paskaljevic wurde der Film zwar nicht berücksichtigt, er erhielt allerdings zwei Preise von Nebenjurys, darunter jenen der katholischen Filmkritikervereinigung „Signis“. Eine „Mention“ von dieser Vereinigung erhielt schliesslich auch der Dokumentarfilm „Bicicleta, Cullera, Poma“ („Fahrrad, Löffel, Apfel“) des katalanischen Regisseurs Carles Bosch - der sicher jener Film war, der von den spanischen Medien am meisten Aufmerksamkeit erhielt. Dies vor allem deshalb, weil der im Zentrum des Films stehende Pascual Maragall als ehemaliger Bürgermeister von Barcelona und späterer Präsident der katalonischen Regionalregierung einer von Spaniens bekanntesten Politikern ist. Seine öffentliche Bekanntmachung vom Sommer 2007 - nach seinem Rückzug aus der Politik -, dass er an Alzheimer erkrankt sei und sich fortan dem Kampf gegen diese Krankheit widmen wolle, schlug in Spanien seinerzeit wie eine Bombe ein. Maragall war bei der Premiere des Films in San Sebastián selber anwesend, doch der Umstand, dass sich sein Zustand gegenüber den Aufnahmen im Film sichtbar verschlechtert hatte, vermochte die Endlichkeit des menschlichen Lebens drastisch zu veranschaulichen.

Julia Roberts auf Promotiontour

Am andern Ende der Skala stand im diesjährigen Programm von San Sebastián die Präsenz von Julia Roberts, am gleichen Tag wie Pascual Maragall. Das Gekreische der Fans über die physische Präsenz der „Novia de America“ (american girlfriend) - wie Julia Roberts scheint’s genannt wird - hallte auch einen Tag nach ihrer Ankunft noch über den kleinen Platz zwischen San Sebastiáns altem „Teatro Victória Eugenia“ (wo seit seiner Renovation ein gewichtiger Teil des Festivalprogramms läuft) und dem „Hotel Maria Christina“ (wo traditionell die Elite der Festivalteilnehmer untergebracht ist). Doch die Töne des Enthusiasmus waren nur virtuell, denn hier hatte einer der Hauptsponsoren des Festivals eine Leinwand aufgestellt, auf der man rund um die Uhr ausgesuchte Highlights bewundern konnte. Dabei ist natürlich die Frage berechtigt, ob die Vergabe des jährlich verliehenen Schauspielpreises „Premio Donostia“ (den in der Vergangenheit auch Leute wie Anthony Hopkins, Liv Ullman oder Dennis Hopper erhalten hatten), nun anlässlich von Frau Roberts europäischer Promotiontournee für die unsägliche Schmonzette „Eat, Pray, Love“ tatsächlich zu den wichtigen Ereignissen dieses Festivals gehörte. Doch San Sebastián hat seit Jahren diese bunte Mischung aus Glamour um jeden Preis einerseits, und einen hochkarätigen Mix aus bekannten Namen des internationalen Autorenkinos und völlig unbekannten Newcomern andererseits.

Preissegen für das spanische Kino

Kein Newcomer war der Gewinner der diesjährigen „Goldenen Muschel“, Peter Mullan. Der Titel seines ausgezeichneten Sozialdramas bedeutet „Non-Educated Delinquents“ und erzählt die Geschichte des jungen John McGill, der im Glasgow des Jahres 1973 als Sohn armer Eltern ein College besuchen kann, dann aber in ein Milieu von Jugendgangs abrutscht. Für die Interpretation dieser Figur erhielt der junge Conor McCarron die „Silberne Muschel“ als bester Schauspieler. Eine weitere „Silberne Muschel“ (bester Regisseur) bekam der in Portugal lebende chilenische Altmeister Raúl Ruiz für sein vierstündiges, im 19. Jahrhundert spielendes Identitätsfindungdrama „Mistérios de Lisboa“. Die dritte „Silberne Muschel“ (beste Schauspielerin) ging an die Katalanin Nora Navas. Sie spielt in dem Nachkriegsdrama „Pa negre“ des katalanischen Regisseurs Agustí Villaronga die Witwe eines von der Franco-Diktatur Hingerichteten. Mit dem Spezialpreis der Jury für „Elisa K.“ - wo das katalanische Regieduo Judith Colell und Jordi Cadena die Geschichte einer Vergewaltigung aufrollt - sowie dem Preis für die beste Kamera an Jimmy Gimferrer in „Aita“, einem experimentell angehauchten Film des Basken José Maria de Orbe um die Mysterien eines alten Hauses, gingen schliesslich zwei weitere Hauptpreise an Filme aus Spanien – ein Preissegen wie ihn das spanische Kino in San Sebastián schon lange nicht mehr erlebt hat.

Junges lateinamerikanisches Kino triumphierte bei dem mit 90 000 Euro hoch dotierten Preis der „Nuevos Directores“ für „Los colores de la montaña“, dem berührenden Debütfilm des Kolumbianers Carlos César Arbelaez um die Freundschaft dreier Knaben in den Kriegswirren einer ländlichen Zone in der Region von Medellín. Der aus Uruguay stammende, umwerfend witzige Beitrag „La vida útil“ von Federico Veiroj, der auch im Wettbewerb des Zurich Film Festival zu sehen ist, erhielt schliesslich eine „Mención“.
(Geri Krebs)

GEWINNER DES 58. FILMFESTIVAL SAN SEBASTIAN

Goldene Muschel
“NEDS” von PETER MULLAN (Grossbritannien/Frankreich/Italien)
Spezialpreis der Jury
“ELISA K” von JUDITH COLELL und JORDI CADENA (Spanien)
   
Silberne Muschel für den besten Regisseur
RAÚL RUIZ für “MISTÉRIOS DE LISBOA” (Portugal)
 
   
Silberne Muschel für die beste Schauspielerin
NORA NAVAS für “PA NEGRE” (Spanien)
Silberne Muschel für den besten Schauspieler
CONNOR McCARRON für “NEDS” (Grossbritannien/Frankreich/Italien)
   
   
Jurypreis für die beste Kamera
JIMMY GIMFERRER für “AITA” (Spanien)
 
   
Jurypreis für die beste Regie
BENT HAMER für “HOME FOR CHRISTMAS“ (Norwegen/Schweden/Deutschland)
Spezielle Erwähnung der Jury
“A JAMA” de DAOUD AOULAD-SYAD (Marokko/Frankreich)
   
   
Kutxa-Preis "Nuevos Directores"
"LOS COLORES DE LA MONTAÑA" von Carlos César Arbeláez (Kolumbien/Panama)
Spezielle Erwähnungen
"LA VIDA ÚTIL" von Federico Veiroj (Uruguay/Spanien)
und
"SMUKKE MENNESKER/NOTHING’S ALL BAD" von Mikkel Munch-Fals (Dänemark)
   
   
Preis "Horizontes"
"ABEL" von Diego Luna (Mexiko)
Spezielle Erwähnung
"A TIRO DE PIEDRA" von Sebastián Hiriart (Mexiko)
   
   
Publikumspreis "TCM"
"BARNEY’S VERSION" von Richard J. Lewis (Kanada/Italien)
Bester europäischer Film
"HOW MUCH DOES YOUR BUILDING WEIGH, MR. FOSTER?" von Norberto López Amado, Carlos Carcas (Grossbritannien/Spanien)
   
   
Jugendpreis
"ABEL" von Diego Luna (Mexiko)
 
   
   
Preis "TVE-Otra Mirada"
"CERRO BAYO" von Victoria Galardi (Argentinien)
Spezielle Erwähnung
"BLOG" von Elena Trapé (Spanien)
   
   
Preis "Cine en Construcción"
"ENTRE LA NOCHE Y EL DÍA" von Bernardo Arellano (Mexiko)
 
   
   
Preis "Casa de América"
"ASALTO AL CINE" von Iria Gómez Concheiro (Mexiko)
 
   
   
Preis "Cine en Movimiento"
"SUR LA PLANCHE" von Leïla Kilani (Marokko/Frankreich)
 
   
   
Preise "IX Encuentro Internacional de Estudiantes de Cine"  
   
Preis "Panavision"
"LOS MINUTOS, LAS HORAS" von Janaína Marqués ESCUELA INTERNACIONAL DE CINE Y TV (Cuba)
 
   
Zweiter Preis
"MITEN MARJOJA POIMITAAN" von Elina Talvensaari AALTO UNIVERSITY (Finnland)
Dritter Preis
"AMBIENTE FAMILIAR" von Carlos Leiva PONTIFICIA UNIVERSIDAD CATÓLICA (Chile)
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