Geri Krebs über die 45. Solothurner Filmtage
Als „stimmungsvolles Wochenende“ beschreibt die Leitung der Solothurner Filmtage jenen Grossandrang, den die verschobene Terminisierung des Festivals von Freitag- bis Sonntagnachmittag auslöste. Die Zahlen geben dem Team um Ivo Kummer recht, mit gut zehn Prozent mehr Eintritten als im Vorjahr (51 000 gegenüber 46 000) platzte die Werkschau des Schweizer Films aus allen Nähten. Und es gab in der Flut von gut 300 Titeln dieses Jahr eine ganze Menge Bemerkenswertes.
Bei den Spielfilmen kam die Überraschung dieses Jahr vom Erstling einer jungen Lausannerin, Séverine Cornamusaz. "Coeur animal" heisst das Werk, es spielt in der rauen Bergwelt von Kuh- und Ziegenhirten im Gebiet von Les Diablerets in den Waadtländer Alpen, und vielleicht ist es kein Zufall, dass dieses Jahr Berge und Kühe noch in einigen anderen wichtigen Filmen des Festivals eine Rolle spielten. In „Coeur animal“ geht es um den Bauer Paul (Olivier Rabourdin), der mit seiner Frau Rosine (Camille Japy) auf einer entlegenen Alp lebt, einzig im Umgang mit Tieren eine gewisse Menschlichkeit zeigt, und eines Tages einen spanischen Knecht (Antonio Buil) für die harte Arbeit engagiert.
„Coeur animal“ ist ein Film von einer Wucht, wie sie seit langem kein Schweizer Spielfilm mehr besass, ein atmosphärisch dichtes Psychogramm über einen seelisch gestörten Mann, eingefangen in der Ästhetik eines Westerns, mit einem Drehbuch, das voll ist von überraschenden Wendungen. Jegliche Postkartenidylle, die bei „Bergfilmen“ ja jeweils lauert, hat der Tessiner Kameramann Carlo Varini in seinen grossartig komponierten Landschaftstableaus geschickt vermieden. Mit diesem eigenwilligen Mix ist Séverine Cornamusaz ein grosser Film gelungen, der weit über das gepflegte Mittelmass herausragte, den etwa der gefällige Eröffnungsfilm „Zwerge sprengen“ des Berner Regisseurs Christof Schertenleib vermittelt hatte.
Das sanft ironiche Heimatbild und eine Toleranz, hinter der bisweilen Abgründe lauern, charakterisierte nicht nur diesen Spielfilm, es kam auch in zwei Dokumentarfilmen von ebenfalls in Bern lebenden Regisseuren zum Ausdruck. Während „Pizza Bethlehem“ von Bruno Moll eine Mannschaft junger Fussballerinnen mit Migrationshintergrund im Berner Vorort Bethlehem begleitet und das gelegentlich schwierige Zusammenleben vielfältig auffächerte, vermittelte „Unser Garten Eden“ des in Bern lebenden Kurden Mano Khalil das Portät einer Schrebergartensiedlung, das manchmal zum Schreien komisch ist. Hier, auf einem Terrain urschweizerischer Gemütlichkeit, haben längst Ausländer unterschiedlichster Herkunft Einzug gehalten, bilden die Mehrheit. Der gestrenge Präsident ist ein - stets piekfein gekleideter – Italiener, hauptberuflich Coiffeur, der seinen widerborstigen Schäfchen bürokratische Absurditäten ausufernder Verordnungen verkaufen muss.
Und dann gab es als Publikumslieblinge zwei Filme, die eher ungefiltertes Heimatgefühl verbreiteten: „Bödälä – Dance the Rhythm“ von Gitta Gsell tauchte ein in die Welt folkloristischer Stepptänze der Schweiz und des näheren Auslands (und gewann den „Prix du public“), während „Wätterschmöcker“ von Thomas Horat die archaische Welt traditioneller Meteorologen im Muotatal während fast zweier Stunden etwas gar episch breit zelebrierte.
Durch seinen ausgeprägten Humanismus überzeugen sollte gemäss Eigendefinition schliesslich der Träger des „Prix Soleure“, und unter den acht zur Auswahl stehenden Filmen schwang „Nel giardino dei suoni“ des Italieners Nicola Belucci heraus, das Porträt eines blinden Musiktherapeuten in einem Dorf in der Toskana. Seine besten Momente erlebt dieser Film dann, wenn nicht nur das menschliche Engagement des Protagonisten, sondern auch die Suche nach Bildern für dessen ganz aus Klängen und Geräuschen bestehende Welt im Vordergrund steht. Das Hören von Landschaften, von dem hier immer wieder die Rede ist, wird zu einem sinnlichen Erlebnis, geht weit über die schöne Floskel hinaus und transzendiert den klangvollen Titel in Sphären, wo Bild und Ton sich in idealer Weise vereinen.
(Geri Krebs)
|