Fantoche – im Rückspiegel - Festivalbericht von Doris Senn

Fantoche – im Rückspiegel - Festivalbericht von Doris Senn

Das diesjährige Fantoche schloss mit einem neuen Rekord: Nicht weniger als 33 000 BesucherInnen tauchten ein in das breite Angebot von Animationsfilmen und Rahmenveranstaltungen für Gross und Klein.

Internationaler Wettbewerb: Viele Highlights

Der internationale Wettbewerb der kurzen Trickfilme bestand aus 37 Titeln aus 24 Ländern. Dabei zeigte sich ein hohes formales Niveau mit vielen innovativen Trouvaillen und originellen Geschichten.

"Videogioco (Loop Experiment)" des Italieners Donato Sansone beschreibt, in Comicmanier gezeichnet, ein Boxmatch und vieles mehr. Dazu werden Kärtchen in Stopmotion auf- und zugeklappt und erzeugen so eine witzige Handmade-Animation.

"Get Real!" (NL) von Evert de Beijer erzählt uns in Computeranimation von einem jugendlichen Nerd, der in seiner Game-Welt als potenter Leibwächter eine Pop-Diva beschützt. Dieses Terrain zu verlassen zugunsten einer Realität, in der man noch rot wird, wenn die Schulkollegin von ferne grüsst, und man in der Mathe-Stunde rein gar nichts mehr begreift, fällt unserem Helden mehr als schwer. Das Design ist bestechend und die Story mit so viel Supense konstruiert, dass man unwillkürlich mitfiebert, für welche der Welten der kleine Bodyguard sich entscheidet.

Der aus Japan stammende "In a Pig's Eye" von Atsushi Wada handelt von einer Familie mit vielen pummeligen Kindern, einem dicken Schwein und einem Lippenstift. Das bizarre Geschehen um die massigen Protagonisten, deren Umrisse mit feinsten Linien gezeichnet sind, ist ebenso wunderlich wie reizvoll.

Packend war auch "Tussilago" (S) von Jonas Odell: In Mischtechnik (Liveaction, Zeichen- und Computeranimation) wird darin die Geschichte der schwedischen Freundin des Terroristen Norbert Köcher aus dem RAF-Umfeld in den 70ern aufgerollt. In der ersten Person erzählt die Protagonistin, wie sie aus Liebe und Leichtsinn in die Sache reinrutschte, in der Folge ins Gefängnis kam und Opfer von Psychosen wurde, von denen sie sich nie mehr erholte. Schade, dass man aufgrund der zu lesenden Untertitel (Übersetzung des schwedischen Voice-over) längst nicht genügend Zeit hatte für die faszinierende Bilderwelt (Mischanimation).

Von Borges bis LogJam

Switchen zwischen Text und Bild musste man leider auch bei "To chto est u menya" (RUS) nach einem Text von Jorge Luis Borges, den Andrej Zhidkov in atemberaubende Bilder umsetzte. Um einiges schlichter, aber nicht weniger brillant präsentierte sich "I Know You" (A/D) von Gudrun Krebs: eine Kinderstimme im Voice-over und die bravouröse Zeichenanimation (Bilder und Text mit schwarzem Tusch) eröffnen eine Welt zwischen Sein und Schein, zwischen freudschem Ich und Es, zwischen Jetzt und Erinnerung. Für drei Mini-Highlights sorgten ausserdem die einminütigen Clips "LogJam" (H) von Alexey Alexeev rund um die Jamsessions von Bär, Hase und Wolf, die bereits beim Lichtangehen im Kino Kult waren!

Die Magie von Büchern

Kleinode waren auch der virtuos gemalte "Lipsett's Diaries" des Kanadiers Theodore Ushev, der Leben und Selbstmord des Avantgarde-Experimentalfilmers Arthur Lipsett anhand eines erdichteten Tagebuchs rekapitulierte, sowie "Going West" der Neuseeländer Martin und Line Andersen: Darin wird durch Falt- und Scherenschnittanimation die Magie von Büchern und ihren Geschichten beschworen.

Preisträger des Internationalen Wettbewerbs:
– Bester Film "In a Pig's Eye"
– Best Visual: "Get Real"
– Bester Sound und Beste Story: "Divers in the Rain" (Estland) von Olga und Pritt Pärn: die (etwas längliche) Story über ein Paar (er Taucher und sie Nacht-Zahnärztin), die sich nur noch die Türklinke in die Hand geben.
– New Talent: "Kuchao" (J) von Masaki Okuda über einen Jungen und seinen magischen Kaugummi
– High Risk ("für das kompromisslose Ausloten von Ausdrucksmöglichkeiten"): "Love & Theft" (D) von Andreas Hykade – ein postmodernes Spiel mit der Transformation im Sog der Rhythmen

Schweizer Wettbewerb

Insgesamt 23 Produktionen bestückten den Schweizer Wettbewerb und boten viel solide Machart – aber etwas fragmentarische Storys. Die wenigen Ausnahmen waren:
"Miramare" der Schweizerin Michaela Müller, die in Zagreb studiert – ein Augenfest auf der grossen Leinwand des Badener Trafo-Kinos! Mit einer tollen Bruitage und mit breiten Pinselstrichen wird hier von einer Schweizer Kleinfamilie erzählt, die ihre Ferien am Strand verbringt – in einem wohlbehüteten Touristenareal. Bestechend auch "Der kleinere Raum" (D/CH) von Cristobal Leon und Nina Wehrle: eine Fabel von einem Raum im Raum. Darin ein Stuhl, ein Kind, ein Hund, ein Baum, ein Hund und anderes Getier – Werden und Vergehen einer Plastilinwelt zwischen Märchen und dumpfer Bedrohung (Wehrle ist übrigens auch Co-Autorin des gelungenen offiziellen Festivaltrailers!). Die 3-D-Animation "Parasite" (Iran/CH) von Omid Khoshnazar handelt von einem Soldaten auf einem Wachtturm im wüsten Irgendwo, der sich als Rambo mit Hasenherz aufführt. Ebenso gutmütig wie gesellschaftspolitisch aktuell dann "Heimatland" von Andrea Schneider: über einen Schweizer, wie er im Buche steht, und seinen neuen Nachbarn – einen Türken! (mit einem tollen Song des neuen Berner Stars Müslüm!)

Preisträger des Schweizer Wettbewerbs:
– Best Swiss: "Miramare"
– High Swiss Risk: "Cronache marxiane" von Laura Solari – über die Fleischfabriken der Zukunft in einer glatten seriellen Ästhetik

Alle Preisträger unter www.fantoche.ch
Eine Best-of-Auswahl des diesjährigen Fantoche tourt bis Oktober durch verschiedene Schweizer Städte.

Das nächste Fantoche findet vom 6. bis 11. September 2011 statt.
(Doris Senn)

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