Bericht von der 49. Viennale – Vienna International Film Festival. Von Walter Gasperi
Als Publikumsfestival vor allem für die Bewohner der österreichischen Hauptstadt muss man die Viennale verstehen. Keinen Wettbewerb gibt es hier, keine Preise werden verliehen, dafür zeigt man, was auf den grossen Festivals des zu Ende gehenden Jahres auf Beachtung stiess, mixt Werke von vielversprechenden Newcomern dazu und pflegt die Filmgeschichte mit Tributes und Retrospektive.
Durchgängiges Thema kann man bei so einem Festival kaum einmal ausmachen. Und doch war es auffallend, wie viele Filme von psychischen Krankheiten erzählten. Eine depressive Frau, die angesichts des Weltuntergangs ruhig wird, während ihre nach aussen so beherrschte Schwester panisch reagiert, steht im Mittelpunkt von Lars von Triers „Melancholia“. Michel Piccoli erleidet in Nanni Morettis „Habemus Papam“ angesichts seiner Wahl zum Papst einen Nervenzusammenbruch und David Cronenberg widmet sich in „A Dangerous Method“ der Beziehung zwischen Sigmnd Freud, Carl Gustav Jung und ihrer gemeinsamen Patientin Sabrina Spielrein.
In atmosphärisch dichten Bildern erzählt die Belgierin Chantal Akerman in ihrer freien Joseph-Conrad-Verfilmung „La folie Almayer“ vom inneren Zerfall eines holländischen Händlers. Während Almayer sich in der Fremde wie in dem undurchdringlichen Dschungel verliert, kehrt seine Tochter entwurzelt aus einem europäischen Internat, in dem sie als Weisse erzogen werden sollte, zurück. Mehr als von der äusseren Handlung lebt Akermans Film von Stimmungen. Eindringlich beschwört sie in langen gleitenden Kamerafahrten durch den Dschungel und über Flüsse ein Gefühl der Verlorenheit, der Entwurzelung und Fremdheit.
Abdriften in die Paranoia
Von der ersten Einstellung an zupackend erzählt dagegen der Amerikaner Jeff Nichols in „Take Shelter“. Ein gewaltiger Sturm scheint im ländlichen Ohio auf das Haus von Curtis und seiner Familie zuzuziehen und erste braune Regentropfen fallen schon. Bald entpuppt sich dieses Bild aber als Einbildung von Curtis. Immer beklemmender werden in Folge seine Alpträume, bald wird er vom eigenen Hund gebissen, bald wird im Sturm seine taubstumme Tochter geraubt.
Mit Anleihen beim Horrorfilm inszeniert Nichols diese Wahnvorstellungen mit höchstem Realismus, sodass bald nicht mehr zu entscheiden ist, was der Paranoia von Curtis zuzuordnen ist und was wirklich geschieht. Curtis ist sich zwar durchaus der Irrealität seiner Alpträume bewusst, sucht einen Arzt ebenso auf wie seine Mutter, die seit 25 Jahren wegen psychischer Erkrankung in einem Pflegeheim lebt – doch sein zunehmendes Abdriften in die Paranoia kann er damit nicht verhindern. Gegen äussere Bedrohung wie den imaginierten Sturm mag er Schutzmassnahmen treffen, hilflos scheint er aber den inneren Dämonen ausgeliefert.
Dank herausragender Schauspieler wie Michael Shannon in der Hauptrolle, einer ungemein konzentrierten Inszenierung und einer Musik, die eine Ahnung vom sich nähernden und steigernden Unheil eindrücklich unterstreicht, entwickelt „Take Shelter“ eine suggestive Spannung, der man sich nicht entziehen kann.
Unterdrückung im Iran
Einen beklemmenden Eindruck von der Unterdrückung der Frau im Iran vermittelt der in seiner Heimat inhaftierte Mohammad Rasoulof in „Bé omid é didar – Good Bye“. Wie die Protagonistin in Asghar Farhadys „Nader and Simin – A Separation“ will auch Noura ausreisen. Ohne Mann, der als regimekritischer Journalist verschwunden ist, eventuell aber auch im Gefängnis sitzt, ist sie praktisch handlungsunfähig, erhält weder Reisedokumente noch kann sie ein Hotelzimmer buchen. Doch Rasoulof zeigt auch, dass mit Bestechung dann doch wieder viel möglich ist, man aber auch stets Denunziation fürchten muss.
Aber nicht nur im Erzählten, sondern fast mehr noch in den kalten Blau- und Grautönen, in der winterlichen Stimmung, den langen statischen Einstellung und den vielen Nahaufnahmen erzeugt „Bé omid é didar“ ein Gefühl der Beklemmung und Enge. Gebündelt wird die Regimekritik in einem Satz Nouras, der wiederum an eine Stelle in „A Separation“ erinnert: „Es ist besser in einem fremden Land eine Fremde zu sein als im eigenen Land.“
Auf den Spuren Jim Jarmuschs
Gepflegt werden auf der Viennale auch gerne ganz junge unabhängige US-Regisseure. Ein viel versprechendes Debüt gab es hier mit Zach Weintraubs „Bummer Summer“ zu sehen. Im Stil des frühen Jim Jarmusch erzählt Weintraub von ein paar Jugendlichen, die einen Sommer lang ziemlich orientierungslos herumhängen und einen Trip durch den Bundesstaat Washington unternehmen. Nicht viel passiert im Grunde, aber beglückend ist dieser Film durch seine lakonische Erzählweise, die unbefangene Schwarzweißfotografie, bei der bewusst auch mal Personen nur halb oder unscharf im Bild sind, vor allem aber durch das erfrischend natürliche Spiel der Darsteller. – Ein Versprechen für die Zukunft ist dieser Film und man darf hoffen von Zach Weintraub in den nächsten Jahren wieder einen Film auf der Viennale oder einem anderen Festival und danach vielleicht auch in den Kinos sehen zu können.
(Walter Gasperi)
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