73. Berlinale: Goldener Bär für "Sur l´Adamant" – Ein Resümee von Walter Gasperi

73. Berlinale: Goldener Bär für "Sur l´Adamant" – Ein Resümee von Walter Gasperi

Mit der Verleihung des Goldenen Bären an Nicolas Philiberts Dokumentarfilm "Sur l´Adamant" und zahlreicher weiterer Preise ging die heurige Berlinale zu Ende: Ein durchschnittlicher Jahrgang ohne große Enttäuschungen, aber auch ohne wirklich überragende Filme.

Auf der Liste für den Hauptpreis der heurigen Berlinale hatte wohl kaum jemand Nicolas Philibert, der vor 20 Jahren mit dem Schulfilm "Être et avoir" seinen größten Erfolg gefeiert hatte. Gut möglich ist freilich, dass die Jury sich für "Sur l´Adamant" nicht zuletzt aufgrund des Themas entschied: Eine schwimmende Tagesklinik inmitten von Paris, in der psychisch kranke Menschen betreut werden, ist doch ein Stoff mit klar humanistischem Akzent und psychische Krankheiten und ihr Umgang damit sind virulente Themen.

Zum großen Erfolg wurde die Preisverleihung aber auch für das deutsche Kino mit dem Großen Preis der Jury für Christian Petzolds leichtfüßigen Beziehungsfilm "Roter Himmel", dem Silbernen Bären für das beste Drehbuch für Angela Schanelecs sperrige Ödipus-Variante "Music" sowie dem Preis für die beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle für Thea Ehre in Christoph Hochhäuslers romantischem Thriller "Bis ans Ende der Nacht".

Naheliegend war der Preis für die beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle aufgrund der Gender-Thematik für Sofía Otero für ihre Verkörperung eines seine sexuelle Identität suchenden Kindes im spanischen Beitrag "20.000 especies de abejas". Otero ist damit mit ihren acht Jahren laut Berlinale die jüngste Preisträgerin in der Geschichte des Festivals.

In Ordnung gehen auch der Regiepreis für Philippe Garrel für seine stimmige Familiengeschichte "Le grand chariot" sowie der Silberne Bär für eine herausragende künstlerische Leistung für Hélène Louvarts Kameraarbeit für Giacomo Abbruzzeses suggestiven Fremdenlegionärsfilm "Disco Boy". Für den Preis der Jury hätten sich allerdings auch andere Filme als João Canijos "Bad Living", in dem sich fünf Frauen in einem Hotel in endlosen Auseinandersetzungen zerfleischen, angeboten.

Denn übergangen wurden von der von Kristen Stewart geleiteten offiziellen Jury Lila Avilés starker Familienfilm "Totem", der dafür immerhin mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, sowie Zhang Lus "The Shadowless Tower" und Celine Songs "Past Lives", die beide leer ausgingen. Der Preis der FIPRESCI-Jury wurde im Wettbewerb Rolf de Heers "The Survival of Kindness" zugesprochen, in der Reihe Encounters Bas Devos´ "Here", der auch von der offiziellen Jury in dieser Sparte als bester Film ausgezeichnet wurde.

Insgesamt war der Wettbewerb durchaus solide, bot viele sehenswerte Filme, ließ aber doch den wirklich großen Film vermissen. Wurde der Italiener Carlo Chatrian als künstlerischer Leiter 2019/2020 nach dem Abgang von dem speziell von den deutschen Medien vielfach scharf kritisierten Dieter Kosslick fast schon wie ein Messias begrüßt, muss man nach seiner nach zwei Corona-Jahren zweiten richtigen Berlinale doch feststellen, dass er - zumindest bislang - keine entscheidende Veränderung herbeiführen konnte: Herr Chatrian kocht eben auch nur mit Wasser.
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Preise der 73. Berlinale

GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN FILM Sur l’Adamant (On the Adamant)
von Nicolas Philibert
SILBERNER BÄR GROSSER PREIS DER JURY Roter Himmel (Afire)
von Christian Petzold
SILBERNER BÄR PREIS DER JURY Mal Viver (Bad Living)
von João Canijo
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE Philippe Garrel
für Le grand chariot (The Plough)
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG
IN EINER HAUPTROLLE
Sofía Otero
in 20.000 especies de abejas (20,000 Species of Bees) von Estibaliz Urresola Solaguren
SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE
SCHAUSPIELERISCHE LEISTUNG
IN EINER NEBENROLLE
Thea Ehre
in Bis ans Ende der Nacht (Till the End of the Night) von Christoph Hochhäusler
SILBENER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH Angela Schanelec
für Music
SILBERNER BÄR FÜR EINE HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG aus den Kategorien Kamera, Schnitt, Musik, Kostüm oder Set-Design Hélène Louvart
für die Kamera in Disco Boy von Giacomo Abbruzzese
BERLINALE DOKUMENTARFILMPREIS El Eco (The Echo)
von Tatiana Huezo
LOBENDE ERWÄHNUNG Orlando, ma biographie politique (Orlando, My Political Biography)
von Paul B. Preciado
   
ENCOUNTERS JURY  
Bester Film Here
von Bas Devos
Spezialpreis der Jury Orlando, ma biographie politique (Orlando, My Political Biography)
von Paul B. Preciado
ex aequo Samsara
von Lois Patiño
Beste Regie El Eco (The Echo)
von Tatiana Huezo
   
GWFF PREIS BESTER ERSTLINGSFILM Adentro mío estoy bailando (The Klezmer Project)
von Leandro Koch, Paloma Schachmann
LOBENDE ERWÄHNUNG The Bride
von Myriam U. Birara
   
INTERNATIONALE KURZFILMJURY:  
GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM UND BERLIN SHORT FILM CANDIDATE FOR THE EUROPEAN FILM AWARDS Les chenilles
von Michelle Keserwany, Noel Keserwany
SILBERNER BÄR PREIS DER JURY Marungka tjalatjunu (Dipped in Black)
von Matthew Thorne, Derik Lynch
LOBENDE ERWÄHNUNG It’s a Date
von Nadia Parfan
   
UNABHÄNGIGE JURIES  
   
PREISE DER ÖKUMENISCHEN JURY  
Wettbewerb Tótem
von Lila Avilés
Panorama Sages-femmes (Midwives)
von Léa Fehner
Lobende Erwähnung Sur l’Adamant (On the Adamant)
von Nicolas Philibert
Forum Jaii keh khoda nist (Where God Is Not)
von Mehran Tamadon
   
PREISE DER FIPRESCI JURY  
Wettbewerb The Survival of Kindness (Das Überleben der Freundlichkeit)
von Rolf de Heer
Panorama Stille Liv (The Quiet Migration)
von Malene Choi
Encounters Here
von Bas Devos
Forum Între revoluții (Between Revolutions)
von Vlad Petri
   
GILDE FILMPREIS 20.000 especies de abejas (20,000 Species of Bees)
von Estibaliz Urresola Solaguren
   
CICAE ART CINEMA AWARD  
Panorama Das Lehrerzimmer (The Teachers’ Lounge) von İlker Çatak
Forum El rostro de la medusa (The Face of Jellyfish)
von Melisa Liebenthal
   
LABEL EUROPA CINEMAS Das Lehrerzimmer (The Teachers’ Lounge) von İlker Çatak
   
CALIGARI-FILMPREIS De Facto
von Selma Doborac
   
FRIEDENSFILMPREIS Seven Winters in Teheran (Sieben Winter in Teheran)
von Steffi Niederzoll
   
AMNESTY INTERNATIONAL FILMPREIS Al Murhaqoon (The Burdened)
von Amr Gamal
   
HEINER-CAROW-PREIS Fabian Stumm (Drehbuch)
für Knochen und Namen (Bones and Names)
   
TEDDY AWARD  
Bester Spielfilm All the Colours of the World Are Between Black and White
von Babatunde Apalowo
Bester Dokumentar-/Essayfilm Orlando, ma biographie politique (Orlando, My Political Biography)
von Paul B. Preciado
Bester Kurzfilm Marungka tjalatjunu (Dipped in Black)
von Matthew Thorne, Derik Lynch
Jury Award Vicky Knight
für ihre Performance in Silver Haze von Sacha Polak
   
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