61. Berlinale – Schlussbericht. Von Walter Gasperi
Mit der Verleihung des Goldenen Bären an das iranische Gesellschaftsdrama „Nader and Simin, a Separation“ ging die 61. Berlinale (10.-20.2.2011) zu Ende. Rar gesät waren die Höhepunkte im Wettbewerb und auch in den Nebenreihen fehlten die herausragenden Meisterwerke.
Die heurige Berlinale zeigte wieder einmal, dass ohne eine entsprechende Anzahl von Starregisseuren ein großes A-Festival kaum überzeugend zu bestreiten ist. Nachwuchsregisseure zu fördern und ihnen eine Plattform im Wettbewerb zu bieten, ist durchaus zu begrüssen, doch leider kann dann meist nur ein Bruchteil dieser Newcomer die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen. Als ziemlich belanglos erwies sich so der türkische Beitrag „Our grand despair“, in dem Seyfi Teoman von zwei Freunden um die 40 erzählt, die sich um die etwa 20-jährige Schwester ihres Kollegen kümmern müssen. Und der Argentinier Rodrigo Moreno, der schon vor fünf Jahren in Berlin mit „El custodio“ auffiel, treibt die Spröde und Lakonie in „Un mondo misterioso“ so weit, dass er mit seiner Schilderung eines antriebslosen und lethargischen Mannes auch beim Zuschauer diese Gefühle auslöst.
Bela Tarr und Miranda July
Schwer zu kauen hatte man auch – wie nicht anders zu erwarten – an Bela Tarrs „The Turin Horse“, der mit dem „Grossen Preis der Jury“ ausgezeichnet wurde. Bewundern muss man zwar die formale Konsequenz des Ungarn und unbestritten grandios sind seine endlos langen schwarzweissen Plansequenzen. Aber der Minimalismus, mit dem hier von der Knechtung eines Pferdes auf einem abgelegenen Bauernhof 150 Minuten lang erzählt wird, fordert vom Zuschauer auch ein Höchstmass an Geduld.
Ungleich mehr Spass machte da schon Miranda Julys „The Future“. Wunderbar verspielt erzählt die Amerikanerin von einem Paar in den Mittdreissigern, das erkennt, dass es endlich beginnen muss Verantwortung zu übernehmen, sich zunächst aber noch eine einmonatige Auszeit gönnen will. Er beginnt sich für die Umwelt zu engagieren, sie will an ihren Tanzperformances arbeiten, schlittert dann aber in eine Affäre mit einem älteren Mann.
Durch skurrile Einfälle von einer Katze als Erzählerin über Probleme beim Anziehen eines T-Shirts bis zu einem Mädchen, das im Garten ein Loch gräbt, beglückt dieser Film und entwickelt in der lockeren Erzählweise grosse Leichtigkeit, macht hinter der verspielten Oberfläche aber doch Zukunftsängste, Sehnsüchte und Orientierungslosigkeit sichtbar.
Meisterhaftes iranisches Gesellschaftsdrama
Bei der Preisverleihung wurde „The Future“ leider übersehen. Nicht vorbei kam die Jury aber an Asghar Farhadis „Nader and Simin, a Separation“, der zurecht mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde. Von der ersten Einstellung an packt dieses iranische Gesellschaftsdrama den Zuschauer und lässt ihn dank eines Drehbuchs, bei dem perfekt ein Rädchen ins andere greift, sowie einer dynamischen Erzählweise nicht mehr los.
Weil das Oberschichtpaar Nader und Simin geschieden wird, muss Nader für seinen an Alzheimer leidenden Vater eine Pflegerin anstellen. Die schwangere Frau, die er dafür findet, erweist sich aber bald als hoffnungslos überfordert. Als Nader feststellt, dass sein Vater vernachlässigt wurde, kommt es zum Streit mit der aus der Unterschicht stammenden Pflegerin, dessen Folgen beide vor Gericht führen.
In der sich anschliessenden Wahrheitssuche bekommt der Zuschauer nicht nur einen immer tieferen Einblick in die iranische Gesellschaft, sondern muss seine Position hinsichtlich der Wahrheit auch immer wieder überdenken. Denn Farhadi involviert mit einer agilen Kamera, die stets nah an den Figuren ist, den Zuschauer zwar ins Geschehen, bleibt aber ausgesprochen ausgewogen in der Schilderung. Im Gegensatz zum Gericht, das hart und emotionslos nach Gesetzen entscheidet, verurteilt Farhadi die Menschen nicht, sondern zeigt die persönlichen und sozialen Nöte und Zwänge, aus denen sowohl das Verhalten des Mannes aus der Oberschicht als auch das der Frau aus der Unterschicht verständlich wird.
Wurzeln des RAF-Terrorismus
Für einen raren Höhepunkt im Wettbewerb sorgte auch Andres Veiel mit „Wer wenn nicht wir“. Der deutsche Dokumentarfilmer („Black Box BRD“) erzählt in seinem ersten Spielfilm mitreissend von der Liebe zwischen Bernward Vesper und Gudrun Ensslin, die Ende der 60er Jahre zerbricht, als Ensslin unter dem Einfluss von Andreas Baader zunehmend radikaler wird.
Mit Archivmaterial vom Eichmann-Prozess über Kubakrise bis Vietnamkrieg bettet Veiel die private Geschichte brillant in den historischen Kontext ein und vermittelt durch akribische Ausstattung atmosphärisch dicht die Stimmung der Zeit und den gesellschaftlichen Wandel. Hier sieht man nicht nur, sondern spürt auch, wie sich aus den engen Moralvorstellungen der frühen 60er Jahre heraus der jugendliche Aufbruch und das Aufbegehren gegen die Vätergeneration entwickeln. Hand in Hand gehen so atmosphärisch dichtes Zeitbild und packende Erzählung einer zunehmenden Politisierung der Jugend.
3 D-Dokumentarfilme von Wenders und Herzog
Was technisch im Kino möglich ist, zeigten dagegen mehrere 3-D-Filme. Wim Wenders vermittelt in seiner „Pina“ getitelten Hommage an die 2009 verstorbene Tänzerin Pina Bausch sensationell die Raumtiefe einer Theaterbühne und lässt den Zuschauer die Tanzvorführungen hautnah erleben. Noch stärker wirkt 3 D aber in Werner Herzogs Dokumentarfilm „Cave of Forgotten Dreams“. Fast greifbar sind hier die 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien, die der deutsche Regisseur mit einem kleinen Filmteam im Auftrag des amerikanischen History Channel in der südfranzösischen Chauvet-Höhle filmen durfte.
(Walter Gasperi)
Preise der Internationalen Jury 2011
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