29. FIFF: Für Freiheit und gegen religiösen und politischen Fanatismus. Von Geri Krebs

29. FIFF: Für Freiheit und gegen religiösen und politischen Fanatismus. Von Geri Krebs

Am Samstag, 28.3., endete in Fribourg das Filmfestival. Mit 40 000 Besucherinnnen und Besuchern (2014: 37 000) erreichte es einen Publikumsrekord, sein äusserst breites Programm stand dieses Jahr unter dem Motto der Freiheit. Die zwei wichtigsten Preise gingen an Filme aus Mexiko und aus Georgien.

Mit einem programmatischen Schwerpunkt auf die geografischen Ränder ist das Fiff unter den grossen Filmfestivals der Schweiz wohl jenes, wo grosse weltpolitische Konflikte am stärksten sichtbar sind. Das zeigte sich dieses Jahr in den Parallelsektionen - die unter der thematischen Klammer "Freiheit" beispielsweise syrische Filme, indigenes Kino aus Nordamerika, oder eine Sektion umfasste, die unter dem Motto stand: Können Sie über alles lachen? - wie auch beim "Herzstück" des Festivals, dem Wettbewerb.

Im Gegensatz zu früheren Jahren bestand die internationale Jury des Wettbewerbs statt aus fünf nur aus vier Mitgliedern, geleitet wurde sie von der unglaublich vitalen 82 jährigen kanadisch-indigenen Filmregisseurin Alanis Obomsawin, und mit Ursula Meier war auch eine bekannte Schweizer Cineastin vertreten. Überraschend zeichnete die Jury den mexikanischen Spielfilm "González" mit dem Hauptpreis aus - angesichts der Tatsache, dass in dem zwölf Filme umfassenden Wettbewerb unter anderem auch Jafar Panahis "Taxi - Teheran" vertreten war und dieser völlig leer ausging, ein eher unverständlicher Entscheid. Der dritte Film, den der 2010 vom iranischen Regime zu sechs Jahren Hausrarrest und zwanzig Jahren Berufsverbot verurteilte Panahi "illegal" drrehte - in einem Auto durch Teheran fahrend und dabei eine Vielzahl von Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen inszenierend - besticht nicht nur durch den unglaublichen Mut seines Realisators, sondern ebensosehr durch seinen vollendeten dramaturgischen Witz, seine inszenatorische Genauigkeit und sein virtuoses Spiel mit erzählerischen Doppelbödigkeiten. Bei seiner Weltpremiere im vergangenen Februar an der Berlinale hatte "Taxi - Teheran" den Goldenen Bären erhalten, die zwölfjährige Nichte des Regisseurs, die in dem Film selber eine Hauptrolle innehat, nahm stellvertretend für ihren Onkel den Preis entgegen, das Teheraner Regime hatte Panahi einmal mehr die Ausreise verweigert.

Dass nun also die Fribourger Jury den Film von Panahi gänzlich ignorierte und statt dessen einem Film wie "González" den Hauptpreis zusprach, kann man aber - positiv betrachtet - auch als Ermunterung für einen "kleinen" Erstling Film eines weit herum unbekannten Cineasten sehen. Man darf sich aber auch fragen, ob es seitens der künstlerischen Leitung des Fiff sinnvoll war, das Werk eines so bekannten Regisseurs wie Panahi im Wettbewerb zu platzieren und ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, den Film in einer der zahlreichen nicht-kompetitiven Sektionen zu zeigen.

Der Regisseur und Drehbuchautor von "González", der 1976 in Chile geborene, heute in Mexiko lebende Christian Díaz Pardo, erzählt in seinem Erstling mit ätzendem Spott und schwarzem Humor vom Treiben einer evangelikalen Sekte. Diese religiösen Erweckungsbewegungen sind in Mexiko, wie in fast überall in Nord-, Mittel- und Südamerika, in den letzten Jahren zu einer wahren Landplage geworden. Sie versprechen Hilfesuchenden das Blaue vom Himmel, funktionieren in Wirklichkeit aber primär als milliardenschwere Geldwaschmaschinen, die ihren Gläubigen schamlos das Geld aus der Tasche ziehen. Im Mittelpunkt von "González" steht ein gleichnamiger kleiner arbeitsloser Angestellter aus Mexico City, der einen Job im Call-Center einer derartigen Sekte annimmt, dort deren mafiösen Machenschaften durchschaut und sich mit dem Chef-Prediger anlegt. Dieser wird von Carlos Bardem, dem älteren Bruder von Spaniens Superstar Javier Bardem, mit unbändiger Spiellust und mit grossartiger Präsenz verkörpert - gäbe es am Fiff einen Schaupielerpreis, Bardem hätte ihn verdient.

Zumindest im Wettbewerb ist das Fiff immer noch ein Festival mit Filmen aus den Ländern des Südens und des Ostens, es tauchen aber, wie im Fall von Carlos Bardem, doch auch immer wieder bekannte Namen aus Europa auf. Noch weit bekannter als der Spanier Bardem war schliesslich eine in der Schweiz lebende Weltbürgerin, die sich überraschend am Fiff ankündigte: Géraldine Chaplin. Die 70Jährige spielte in dem Liebesdrama "Dólares de arena" des mexikanisch-dominikanischen Regie-Duos Israel Cardenas und Laura Amelia Guzmán eine reiche Französin, die sich in Samaná, einem der Traumstrände in der Dominikanischen Republik, unsterblich in eine junge Einheimische verliebt. Der ungemein stille, visuell betörende Film, ein Stück weit eine Antithese zu Ulrich Seidls auf Schockeffekte setzendem "Paradies: Liebe", ging leider leer aus, und hat, wie "González, in der Schweiz keinen Kinoverleih.

Dagegen wird man im Laufe des Jahres nicht nur Jafar Panahis Meisterwerk, sondern auch den diesjährigen Gewinner des Fiff-Publikumspreises in den Kinos sehen können: "Corn Island" von George Ovashvili aus Georgien, ein bildgewaltiges, fast dialogloses Werk, das im Niemandsland zwischen zwei feindlichen Staaten spielt und bei dem die Gewalten der Natur und jene eines absurden Krieges eigentliche Hauptdarsteller sind. Schauplatz von "Corn Island" ist der Fluss Enguri, der aus dem Kaukasus ins Schwarze Meer fliesst. In der Mitte des Flusses, an der Grenze zwischen Georgien und der - von Russland unterstützten - abtrünnigen Provinz Abchasien, entstehen jeden Frühling durch herangeschwemmte Erd- und Kiesmassen kleine Inseln, die vorübergehend fruchtbares Land erschaffen. Auf einer solchen Insel beginnt ein alter georgischer Bauer zusammen mit seiner Enkelin ein Maisfeld anzulegen und eine einfache Hütte zu bauen, argwöhnisch beobachtet von georgischen und von russischen Soldaten. Sie tauchen gelegentlich mit ihren Booten auf, sind Repräsentanten eines seit über zwanzig Jahren mottenden und näher rückenden Krieges, mit dem sich Regisseur Ovashvili bereits vor fünf Jahren in seinem - damals ebenfalls am Fiff preisgekrönten - Erstling "The Other Bank" beschäftigt hatte.
(Geri Krebs)

PALMARES FIFF 2015

INTERNATIONALE JURY-PREISE

  LANGFILME   KURZFILME
Regard d'or GONZÁLEZ
Regie: Christian Díaz Pardo
Mexiko, 2013
Bester internationaler Kurzfilm ANTS APARTMENT
Regie: Tofigh Amani
Irak, 2014
Spezialpreis der Jury ATA
Regie: Chakme Rinpoche
China, 2013
   
Lobende Erwähnung FLAPPING IN THE MIDDLE OF NOWHERE
Regie: Diep Hoang Nguyen
Vietnam, 2014
Lobende Erwähnung JILA
Regie: Karim Lakzadeh
Iran, 2014
       
WEITERE PREISE      
Publikumspreis CORN ISLAND
Regie: George Ovashvili
Georgien / Deutschland / Frankreich / Tschechien/ Kazachstan / Ungarn, 2014
   
Preis der ökumenischen Jury FLAPPING IN THE MIDDLE OF NOWHERE
Regie: Diep Hoang Nguyen
Vietnam, 2014
FIPRESCI-Preis THE VALLEY
Regie: Ghassan Salhab
Libanon / Deutschland / Frankreich / Katar, 2014
E-Changer-Preis FLAPPING IN THE MIDDLE OF NOWHERE
Regie: Diep Hoang Nguyen
Vietnam, 2014
Don Quijote-Preis LIFE MAY BE
Regie: Mania Akbari, Mark Coursins
Grossbritannien / Iran, 2014
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