10. Internationales Festival des Phantastischen Films in Neuchâtel - Schlussbericht von Patrick Schneller
Die 10. Ausgabe des Internationalen Festivals des Phantastischen Films in Neuchâtel ist Geschichte. Das NIFFF feierte ein würdiges Jubiläum und verzichtete wie gewohnt auf Glamour. Die Qualität der thematisch breit gefächerten Filme bewegte sich in diesem Jahr auf hohem Niveau, allerdings fehlten richtige Abschiffer genauso wie herausragende Beiträge.
Vom 4. bis 11. Juli war Neuchâtel zum zehnten Mal die Schweizer Hauptstadt für Fans des Phantastischen Films. Seit der ersten Ausgabe im Jahr 2000 ist das Neuchâtel International Fantastic Film Festival stets gewachsen. Inzwischen ist es einer der grössten Film-Events überhaupt in der Romandie, diesmal zählte es 25000 Eintritte und somit wie bisher jedes Jahr einen neuen Rekord. Schon manche renommierte Filmemacher haben das NIFFF in den letzten Jahren beehrt. So übernahmen zum Beispiel die B-Movie-Legende Roger Corman 2004, Zombie-Vater George A. Romero 2006 und Hollywood-Regisseur Joe Dante 2008 die Rolle des Jury-Präsidenten für den internationalen Wettbewerb.
Es überrascht daher, dass die Jury der Jubiläumsausgabe eher „unprominent“ besetzt war. Als Präsident fungierte der Kalifornier Douglas Trumbull. Der Schöpfer der visuellen Effekte zu Sci-Fi-Klassikern wie „2001: A Space Odyssey“ und „Blade Runner“ ist gewiss eine Koryphäe, doch einem breiten Publikum dürfte er kaum bekannt sein. Er und die weiteren Jurymitglieder, darunter die US-Schauspielerin Nancy Allen („RoboCop“) und der Schweizer Kameramann Ueli Steiger, hatten keine leichte Wahl: Die zwölf Beiträge, die im internationalen Wettbewerb um die von H.R. Giger gestaltete Narzisse buhlten, konnten sich alle sehen lassen. Mit dem Mysterythriller „Strayed“ aus Kasachstan und dem blutrünstigen „Reykjavik Whale Watching Massacre“ aus Island waren zwei Länder vertreten, die sonst kaum mit dem Phantastischen Film in Verbindung gebracht werden. Beide Werke sind beachtlich, schwächeln aber auf der dramaturgischen Ebene.
Als Highlights erwiesen sich drei Filme. Erstens der Hongkong-Schocker «Dream Home», der mit rabenschwarzem Humor direkt Bezug auf die Immobilienmarkt-Krise nimmt, die so vielen Banken zum Verhängnis wurde. Sogar die UBS wird erwähnt - in einem Zug mit den Lehman Brothers! Zweitens „The Eclipse“ aus Irland, ein sehr stimmiger Mix aus Beziehungsdrama und Geisterfilm. Und drittens die wortkarge dänische Wikinger-Odyssee „Valhalla Rising“, die man fast schon für ein Remake von Werner Herzogs „Aguirre, der Zorn Gottes“ halten könnte. Aber auch das mittelalterliche britische Pestdrama „Black Death“ mit Sean Bean, die ebenfalls englische, an Emir Kusturica erinnernde Tragikomödie „Strigoi“ um Vampire in der rumänischen Provinz und das kapitalismuskritische deutsche Sci-Fi-Drama „Transfer“ über eine dubiose Körpertausch-Klinik haben es in sich. „Djinns“ aus Frankreich reiht sich derweil effektiv in die immer länger werdende Liste der Antikriegs-Horrorfilme ein, die seit dem herausragenden südkoreanischen „R-Point“ (2004) stetig wächst. „The Reeds“, der dritte Beitrag aus England, ist ein stimmiger, wenn auch nicht sonderlich origineller Mystery-Thriller aus der stets populären Kategorie „Durcheinander im Raum-Zeit-Kontinuum“. Weniger gelungen, da zu überkandidelt, ist hingegen die actionreiche südkoreanische Fantasykomödie „Woochi“.
Am meisten Aufsehen erregte indes das mit 160 Minuten episch angelegte Drama „Enter the Void“ aus Frankreich, das bis 20 Minuten vor Schluss fasziniert, ehe „Irreversible“-Regisseur Gaspar Noë einmal mehr plakativer Provokation verfällt. Trotzdem entschied sich die Jury für diesen Streifen und verlieh im die Narzisse. „Dream Home“ erhielt völlig verdient eine spezielle Erwähnung der Jury und den „Prix Mad“ für den verrücktesten Film des Festivals, vergeben vom französischen Film-Magazin „Mad Movies“.
Den Silbernen Méliès für den besten europäischen Film empfing „Strigoi“, der damit im Oktober am Festival von Sitges mit acht Mitstreitern Kandidat für den Goldenen Méliès ist, den Preis für den besten europäischen Phantastischen Film der Festivalsaison 2009/10. Der von TSR gesponserte Publikumspreis ging derweil an Christopher Smiths „Black Death“. Den Jugendpreis, dessen Jury aus Schülern des Denis-de-Rougemont-Gymnasiums in Neuchâtel besteht, erhielt prompt der kasachische „Strayed“.
Der asiatische Wettbewerb bestand aus acht Filmen, aus denen einerseits das südkoreanische Insel-Horrordrama „Bedevilled“ und die absurde japanische Toupet-Komödie „Wig“ hervorstachen. Viel Spass machte auch der Thai-Actioner „Raging Phoenix“, in dem die Helden eine Kampftechnik anwenden, für die man betrunken sein muss! Der vom Publikum vergebene Preis ging erwartungsgemäss an „Wig“, den vielleicht sympathischsten Film des Festivals. Etwas enttäuschend war jedoch, dass im Gegensatz zu den vergangenen Jahren Beiträge aus exotischeren Filmländern wie Indonesien oder Malaysia fehlten.
Bei den wie gewohnt hochstehenden Kurzfilmen gewannen der melancholische „Danny Boy“ den Schweizer und das deutsche Psychodrama „Try a Little Tenderness“ den europäischen Wettbewerb.
Zudem präsentierte das NIFFF wie jedes Jahr interessante Werkschauen. Unter dem Motto „Im Schatten des Zweifels“ wurden 27 Phantastische Schweizer Filme von 1934 bis heute gezeigt, darunter das obskure welsche Paranoia-Kammerspiel „Black Out“ (1970) und der Medizin-Thriller „L'Enfance d'Icare“ (2008), einer der letzten Filme mit Gérard Depardieus Sohn Guillaume. Des Weiteren gab es eine Retrospektive der Filme des japanischen Rockmusikers und Regisseurs Sogo Ishii, der bei allen Vorführungen anwesend war. Seine Filme sind einzigartig: energiegeladene, temporeiche Fieberträume mit viel Musik, die man gesehen haben muss, um zu glauben.
Im „Focus Québéc“ schliesslich liefen je fünf Spiel- und Kurzfilme aus der frankokanadischen Metropole, die alle positiv überraschten. Die Groteske „Truffe“ erwies sich als originellster Streifen des Festivals: Von Robotern gesteuerte Otterkragen wollen das Monopol des Trüffelhandels in Montreal an sich reissen, indem sie die Menschheit unterjochen - wunderbar abgedreht! Bei den Spezialvorführen ragten Michael Winterbottoms Neo-Noir „The Killer Inside Me“ mit Casey Affleck und Jessica Alba sowie der Okkult-Thriller „Shelter“ mit Julianne Moore heraus.
Das Open Air schliesslich stand dank des Sommerwetters auch unter einem guten Stern und zeigte zum Beispiel das aufwühlende spanische Historiendrama „Agora“ mit Rachel Weisz sowie den britischen Entführungsthriller „The Disappearance of Alice Creed“, der mit seinen Überraschungen und Wendungen verblüfft.
Fazit: Mit seiner zehnten Ausgabe wurde das NIFFF einmal mehr seinem Ruf gerecht als vielleicht abwechslungsreichstes Filmfestival der Schweiz, das seinen Prinzipien treu bleibt.
(Patrick Schneller)
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