La Ligne

CH/FR/BE 2022, F/d, 103', Regie: Ursula Meier, mit Stéphanie Blanchoud, Valeria Bruni Tedeschi, Dali Bensallah

La Ligne

Streaming - Release: 16.11.23 auf filmingo.ch

Filmkritik von Walter Gasperi

Eine 35-jährige Frau wird nach einer heftigen Auseinandersetzung mit ihrer Mutter mit einem dreimonatigen Kontaktverbot belegt: Ursula Meier gelang ein kraftvoll-intensives und großartig gespieltes Familiendrama um eine toxische Beziehung bei gleichzeitiger Sehnsucht nach Nähe.

Zu Antonio Vivaldis "Nisi Dominus" fliegen während des Vorspanns Blumen, CD und Schallplatten an eine Zimmerwand. Erst nach einem Schnitt sieht man, wer hier wirft: Rasend vor Wut versucht die 35-jährige Margaret (Stéphanie Blanchoud) ihre Mutter Christina zu ergreifen. Nur mit Mühe können sie zwei Männer zurückhalten. Auch die Zeitlupe kann die Szene nicht bändigen, sondern verdeutlicht vielmehr noch die Aggression Margarets.

Bald stehen sich die Frauen gegenüber. Wahrhaft schallend klatscht eine Ohrfeige an Christinas Wange und im Fallen schlägt ihr Kopf mit lautem Krachen auf der Tastatur eines Flügels auf. Das Musikinstrument als auch die Musik von Vivaldi verweisen auf die Musikerfamilie, denn einst hat die Mutter als Konzertpianistin dieses Stück auf Schallplatte aufgenommen. Auch Margaret ist Musikerin und ihre zwölfjährige Schwester Marion, die Nachzüglerin der Familie, die die Auseinandersetzung geschockt mit Tränen in den Augen verfolgt, singt leidenschaftlich - vor allem Kirchenlieder.

Erst nach langem Kampf – und mit Ende des Vorspanns – gelingt es den beiden Männern, die inzwischen noch von einem dritten Mann unterstützt werden, Margaret im wahrsten Sinne des Wortes vor das Haus zu setzen: Sie steht nun in der verschneiten Wiese, getrennt durch die Glasfront vom Rest der Familie. Kurz wird nochmals die Tür geöffnet, um der Ausgeschlossenen und Verstoßenen einen Mantel zuzuwerfen.

Bis zur Gerichtsverhandlung belegt der Richter Margaret, die auch deutliche Schrammen und ein Cut an der Schläfe vom Kampf davontrug, mit einem dreimonatigen Kontaktverbot. Maximal auf 100 Meter darf sie sich in dieser Zeit dem Haus der Familie nähern.

So zieht Margaret, die offensichtlich auch schon autoaggressiv wurde, zu ihrem Ex-Freund, mit dem sie auch beruflich als Sängerin arbeitete. Wenig erfreut nimmt dieser sie aber in seiner Wohnung auf, denn auch diese Beziehung scheint am unkontrollierbaren Temperament Margarets zerbrochen zu sein.

Bald aber will sie wieder Kontakt zu ihrer Familie aufbauen, will sich erkundigen, wie es ihrer Mutter geht, deren Gehör beim Kampf geschädigt wurde. Auf der Straße stellt sie sich vors Auto der Familie, klettert aufs Auto, als die anderen sich nicht auf ein Gespräch einlassen wollen, muss dann aber doch unverrichteter Dinge abziehen.
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