127 Hours
DVD - Release: 22.7.2011
Rezension von Stefan Volk
Danny Boyle zählt – mit neun Spielfilmen in 16 Jahren – nicht gerade zu den Vielfilmern der Branche, ist aber zweifellos einer der vielfältigsten Regisseure der Gegenwart.
Überdrehte Kultbuchverfilmung („Trainspotting“), romantische Komödie („A Life Less Ordinary“), Inselabenteuer („The Beach“), Horrorkino („28 Days Later“) und besinnlicher Jugendfilm („Millions“) stehen in seinem Oeuvre Seite an Seite.Mit dem knallbunten Mumbai-Streifen „Slumdog Millionär“ gewann er vor zwei Jahren den Oscar für die beste Regie. In der Kategorie „Bester Film“ ist Boyle dank des von ihm inszenierten Überlebensdramas „127 Hours“ in diesem Jahr abermals für die begehrte Filmtrophäe nominiert.
Schwierige Entscheidung
Der Film erzählt die wahre Geschichte des Bergsteigers Aron Ralston, der im April 2003 derart unglücklich in eine Felsspalte im Blue John Canyon in Utah stürzte, dass seine rechte Hand von einem herabstürzenden Felsbrocken begraben wurde. Wer Ralstons Autobiographie „Im Canyon: Fünf Tage und Nächte bis zur schwierigsten Entscheidung meines Lebens“ gelesen hat, weiss, wie das endet. Und auch Boyle deutet das blutige Finale gleich zu Anfang an, wenn er zeigt, wie Aron in einem Schrankfach vergeblich nach seinem Schweizer Taschenmesser greift, das dort ganz nach hinten gerutscht ist. So bleibt ihm am Ende nur ein stumpfes Billigimitat, um die schwerste Entscheidung seines Lebens in die Tat umzusetzen.
Rauschhafte Idylle
Beim Showdown mit der erbarmungslos abgefilmten Selbstamputation rutschten die Journalisten in der Pressevorführung unruhig in ihren Kinosesseln hin und her. Eine Szene, die dem fiesesten Splattermovie zur Ehre gereichen würde und belegt, dass erstaunlich vieles aus Boyles bisherigem Kinoschaffen in seinen neuesten Film einfloss. Der Auftakt erinnert mit seinen coolen, lauten Beats, schnellem Schnitt, satten Farben und den hin und her wischenden Splitscreens an eine Mischung aus „Trainspotting“ und „Slumdog Millionär“. Wie im Rausch packt Aron seine Ausrüstung zusammen, schwingt sich ins Auto, dann aufs Mountainbike, rast über Asphalt, dann Fels in den Canyon und eine Stimmung hinein, wie sie auch in „The Beach“ anfangs entfaltet wurde. Zufällig begegnet Aron zwei jungen Wanderinnen, die sich verirrt haben. Er führt sie zu einem in einer Grotte verborgenen unterirdischen See – auch eine Art „geheimer Strand“. Dort plantschen sie ausgelassen herum. Doch wie in „The Beach“ ist auch hier das Idyll von kurzer Dauer. Die drei verabschieden sich, Aron zieht alleine weiter und stürzt ab.
Griff in die Trickkiste
Jetzt beginnt das eigentliche Drama, das sich allerdings vor allem im Innern des Protagonisten abspielt und für einen Film daher eine ziemliche Herausforderung darstellt. Aron sitzt fest, sortiert seine Ausrüstung, trinkt, isst, sitzt fest, trinkt, sitzt fest und denkt, denkt und sitzt fest. Viel zu filmen gibt es da nicht. Immerhin zwischendurch führt er Videotagebuch, was allerdings bisweilen arg theatralisch wirkt. Einmal am Tag fliegt ein Rabe vorbei, eine viertel Stunde lang scheint die Sonne herein. Ein 26-jähriger Mann in einer Felsspalte: auf viel weniger lässt sich eine Dramaturgie nicht reduzieren. Dass „127 Hours“ trotzdem (fast) keine Sekunde langweilig wird, liegt an der hervorragenden Kameraarbeit, die auf engstem Raum im Zusammenspiel von Detailaufnahmen und wechselnden Perspektiven eine faszinierende visuelle Dynamik erzeugt, die aber ebenso wenig wie der Oscar-nominierte James Franco in der Hauptrolle den Fehler begeht, zu dick aufzutragen. Und es liegt daran, dass Boyle in die Trickkiste greift und Arons Halluzinationen und Kindheitserinnerung als dramaturgische Kontrapunkte in Szene setzt. So entsteht am Ende ein spannender, intensiver Film mit poetischen Momenten und einem blutigen Finale, das – auch beim Zuschauen – unter die Haut geht.
Kritiken
Offizielle Website | Verleiher |
www.127hoursmovie.co.uk | Pathé Films |
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